Paarungszeit: Roman (German Edition)
wach?
Sie hatte es schon mit einem beruhigenden Schaumbad versucht, mit Westernheftchen und ihrem Lieblingsfilm, aber sie war nicht in die Handlung gekommen. Warum, Kruzifix, hörten diese Wonneschauer nicht auf, sie zu durchrieseln, wenn sie nur an die Umarmung dachte? Die Umarmung eines Mannes, dem sie im Laufe ihrer Redeübungen viel von sich erzählt hatte. Wenn man es genau nahm, so viel wie noch keinem Mann zuvor. Auch wenn er vermutlich kaum ein Wort verstanden hatte.
Was ihr aber auch bei einem Mann hätte passieren können, mit dem sie die Muttersprache teilte. Alle Männer und Frauen in ihrem Umkreis redeten im Allgemeinen konsequent aneinander vorbei. Oder zogen es wie ihr Bruder vor, überhaupt nicht zu reden. Aber vielleicht verstanden Männer wie Lucien die Frauen nur aufgrund ihrer Sensibilität, ihrer gleichsam nylonbestrumpften Seele? Konnte man einen solchen Mann begehren? Sich gar in ihn … Geh, Schmarrn! Sie hatte wohl ein oder zwei Stamperl zu viel getrunken.
Was würde sie denn mit einem solchen Mann anfangen? In Dessousgeschäften stöbern, Dirndl an Dirndl in der Kirchenbank sitzen, ihm ihre süßesten Handtäschchen leihen? Wobei Therese Engler lieber Cowboyhüte trug als süße Handtäschchen. Und im Wilden Westen durchaus einen respektablen Kerl abgegeben hätte. Einen Kerl, der den Weg freischoss. War etwa auch mit ihr etwas nicht in Ordnung? Hatte er sie deshalb geküsst? Weil er den Cowboy in ihr spürte?
Sie nahm einen ordentlichen Schluck Likör, horchte mutig in sich hinein, aber sie fand nichts, keine Wünsche, ein Mann zu sein, keine lang verdrängten Leidenschaften, nur Enttäuschung. Darüber, dass niemand an die Tür ihrer Wohnung geklopft, dagegen gehämmert oder sie sogar eingetreten hatte. Um sie zu lieben, wie sie seit siebenundzwanzig Jahren nicht mehr geliebt worden war. Oder vielleicht noch nie.
Jetzt, mit diesem Kräuterlikörzugang zu den entlegensten Gebieten ihrer Seelenprärie, konnte sie es zugeben. Zumindest für diesen Moment.
Mei. Sie kippte den Rest ihres Stamperls auf Ex, erhob sich, etwas schwankend, und lauschte ins Dunkel, ob vom Garten her etwa Akkordeonklänge herüberwehten. Schmarrn. Sie waren noch gar nicht zurück vom Pfingstmarkt. Vorhin hatte sie drüben nach dem Rechten gesehen, sich vergewissert, dass die Hintertür offen stand. Und sich kurz gefragt, ob sie zu überstürzt davongerannt war, statt Lucien mit seinen ineinander verkeilten Akkordeons zu helfen. Aber Delphine war ja dort gewesen. Und Cedric wahrscheinlich auch. Und …
Nicht an Matt denken! Sie würde jetzt schlafen, dem morgigen Tag tapfer in die Augen sehen.
Sie entledigte sich ihres Dirndls, putzte sich die Zähne und legte sich in ihr Bett. Bequem, frisch bezogen. Und gerade breit genug für eine Person.
»Therese?«
Sie hatte im Halbschlaf zu ihrem Handy gegriffen. In einem betäubten, vernebelten, katerverkündenden Halbschlaf. Jetzt öffnete sie die Augen ganz. Blendendes Sonnenlicht brannte das Muster des Vorhangs auf die Dielen. Kruzifix! Sie musste doch Frühstück machen!
»Äh, ich kann jetzt …«
»Doch. Du kannst.« Wie metallisch die Stimme ihrer Wahlberaterin klingen konnte. »Hier ist die Hölle los.«
»Die Hölle? … Wo?«
»Auf Neuenthals erfrischend lebendiger Geschäftsmeile. Bis gleich.«
Ruhe bewahren. Erst duschen. Mit einem fiesen, dumpfen Schmerz im Schädel. Therese hatte das deutliche Gefühl, dass in ihrem Körper gerade einige Organe einen Antrag auf Frührente stellten, allen voran die Leber. Aber auch in der Speiseröhre tobten tausend kleine Feuerteufel. In ihrem Alter waren Räusche aller Art harte Arbeit, so viel stand fest.
Als sie, noch immer benommen, aus der Tür trat, schaute sie trotzdem kurz in der Pension vorbei. Im Frühstücksraum benutztes Geschirr, Käsereste, sogar Eier hatte jemand gekocht und das letzte halbe Blech Apfeldatschi aus der Küche geholt. Aber niemand war zu sehen, und sie verließ die Pension, nahm die Abkürzung zur Einkaufsstraße durch den Hintereingang ihres Cafés und ihren Laden. Schon in der Tür sah sie den Papiermüll auf der Straße, den immer noch niemand weggeräumt hatte. Im Gegenteil, irgendwer hatte, vielleicht im Überschwang nach dem Pfingstmarkt, den Müll um verbeulte Dosen bereichert, um Bierflaschen, die zwischen den Füßen der Schaulustigen umherkollerten. Und was, Kruzifix, bedeuteten diese Bettlaken vor der Feuerwehrkneipe, dem Döner 24 und dem Edekamarkt?
Solidarität!, stand
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