Paarungszeit: Roman (German Edition)
Luft, voller zärtlicher Düfte, sehnsuchtsschwanger, regenfroh und frühlingstrunken. Trunken war auch ich. Wenn ich in der Lage gewesen wäre, meinen Zustand zu analysieren, hätte ich ihn als voll wie eine Haubitze angeben müssen. Wobei ich keine Ahnung hatte, was eine Haubitze eigentlich war. Vermutlich konnte ich das Wort noch nicht einmal mehr aussprechen. Timo war eingeschlafen, lag im Bett, in das ich ihn – immerhin nüchterner als er – verfrachtet hatte. Wir beide vertrugen wohl weniger Alkohol als die anderen, oder wir hatten mehr getrunken. Gina hatte Quirin zwar ihren Autoschlüssel und das Steuer überlassen, war aber durchaus noch fähig zu unvernuschelten Sätzen: über meine Geschichte, über die nächste fällige Brautkleidanprobe, Strobl, diesen Idioten, den netten Abend, das entzückende Negligé, das ich doch jetzt gleich anprobieren solle!
Ich hatte es tatsächlich an. Hier, am offenen Wohnzimmerfenster. Timo waren schon im Auto die Augen zugefallen, und zu Hause hatte ich ihm das Hemd ausgezogen, die Hosen abgestreift, ihn zugedeckt. Er hatte sich bedankt, mir immer wieder gesagt, wie lieb ich doch sei. Und jetzt stand ich hier, in Delphines Negligé, vor mir die berauschende, tröpfelnde Frühlingsnacht, hinter mir der verletzte Zopodil. Unruhig stromerte er in seinem Becken herum, dachte vermutlich darüber nach, was herzlose, flossenzerfetzende Weiber einem anständigen Kerl antun konnten, und ich musste an Wedding-Elfes letzten, verzweifelten Eintrag im Hochzeitsforum denken: Er hat keine Manieren und keine Gefühle! Ich hab jetzt meinen Anwalt angerufen, wegen der Scheidung!
Darauf quietschentchens Rat: es gibt imer einen weg, geb nicht auf, liebe ist abeit.
Und darunter: Beiträge solcher Art gehören nicht hierher, von der Moderatorin des Forums. Worauf Wedding-Elfes Name nur noch als gelöscht auftauchte. Wie es ihr wohl gerade ging?
Plötzlich überwältigte mich Mitleid mit Wedding-Elfe, aber nicht nur mit ihr, auch der verstoßene Zopodil rührte mich. Ich riss mich zusammen. Alles war gut. Ich hatte Susn-die-Geschichtenerzählerin gefunden, auch Timo war stolz auf mich. Vielleicht hatte er recht: Ich hatte mich wirklich zu sehr auf ihn konzentriert. Aber ab jetzt würde alles anders werden. Ich hatte meine Leidenschaft, er seine, nach Goldflossy- und Kuss-Entgleisungen hatten wir wieder zusammengefunden. Der schönste Tag des Lebens konnte kommen, ein Märchen in Weiß mit zartlila Deko, Blumenstrauß in Wasserfallform und Hochzeitstorte mit Waldfruchtfüllung. Danach lebenslanges Schuften im Beziehungsbergwerk, liebe ist abeit , quietschentchen hatte es auf den Punkt gebracht.
Ich schloss das Fenster, sperrte Nacht, Blüten und den unsteten Mond aus. Er hatte wieder zugenommen, von der Sichel zum Dreiviertelmond, und litt sichtlich unter dem Jo-Jo-Effekt. Ein letzter unsinniger, vom Mohnauer Charmeur beeinflusster Gedanke, bevor ich die Vorhänge zuzog: Wer wohl jetzt ebenfalls am Fenster stand und denselben Mond ansah? Irgendwo auf der Erde? Oder zumindest auf dieser Hälfte der Welt, die gerade ins Dunkel getaucht war? Oder wenigstens in Europa? In Bayern? In Neuenthal?
23.
W ie angefressen der Mond aussah. Als hätte die Nacht an ihm geknabbert. Wie er sich vor ihr versteckte in den Schleiern der Wolken. Aber an Schleier wollte sie jetzt nicht denken.
Mei. Was für ein Tag! Noch ein Stamperl. Das letzte. Sie musste schlafen. Ihr stand wieder ein anstrengender Tag bevor. Zuerst musste sie zum Mohnauer Bäcker fahren. In all der Aufregung um die Plakate, den Müll auf der Straße und den Pfingstmarkt waren ihr die Frühstückssemmeln ausgegangen, die sie normalerweise einfror. Das würde ein schönes Geratsche geben beim Bäcker!
Und wenn schon. Sie, Therese Engler, hatte sich während der Diskussion und der Beinahe-Schlägerei tadellos verhalten. Und was nachher passiert war, auf der Toilette des Chez Lutz, wusste ja niemand. Außer Delphine. Die ungestüm die Tür aufgerissen hatte, vermutlich in der Absicht, die Toilette zu betreten. Wo Lucien und sie – es hatte keinen Sinn, dies abzustreiten – sich wild küssten. Wie nur war es dazu gekommen?
Zuerst, als sie voreinander gestanden hatten, Akkordeon an Akkordeon, waren sie erstarrt, nur die Instrumente, deren schwarze Knöpfe sich berührten, hatten einen quietschig-erstaunten gemeinsamen Akkord von sich gegeben. Dann hatte Lucien gelächelt.
»Merci.«
»Äh … gern geschehen.«
Er streckte eine Hand aus,
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