Paarungszeit: Roman (German Edition)
und Gurgeln hielt, war mir seine beleidigte Abkehr nicht ganz unrecht. Vor uns hatte Quirin den Arm locker auf Ginas Rückenlehne plaziert, seine Finger streichelten ihren Nacken. So fuhren wir, zwei turtelnde Pärchen und ein frustrierter Hund, zum Mohnauer Pfingstmarkt. Wo man Hand in Hand zwischen den Ständen umherschlendern, Liebesäpfel kaufen oder eine Lesung besuchen und sich Schlampe nennen lassen konnte.
Nach dem Eklat bei der Lesung und dem raschen Eingreifen Onkel Hartls, der gerade noch eine Schlägerei verhinderte, legte Timo den Arm um mich. Als er mir zärtlich und voller Verständnis durch die Haare strich, musste ich einen Moment an das denken, was er gesagt hatte: dass ich ihm die Luft abschnürte. Durch den Schleier meiner Schande – oh Gott, der ganze Landkreis wusste jetzt, dass ich eine Schlampe war! – sah ich die Bühne, wo ebenfalls Schleier waberten, dünne Schleier, die nur äußerst notdürftig Pinguinbäuche, Birnenfiguren, Hüftgold, bierwurstgestählte Oberschenkel verbargen. Eine Horde wild gewordener Putten tänzelte zu orientalischem Georgel, angefeuert vom Publikum, das die Diskussion, die Schlampe und die Beinahe-Schlägerei schon wieder vergessen zu haben schien. Wir entfernten uns gemeinsam vom Geschehen, Timo, ich und mein immer noch wutgeladener Cousin. Mein Onkel und Christiane schlossen sich uns an, gemeinsam holten wir Gina und Floh von Thereses Dirndl-Stand ab, obwohl Therese nicht, wie versprochen, kam, um sie abzulösen. Schließlich erklärte sich Özcan vom Stand nebenan bereit, auf die Dirndl aufzupassen, verabschiedete uns mit einem langen, glühenden Blick und der Bemerkung: »Vergesst nicht, ihr alle seid reine Liebe.« Angespornt davon legten die Männer die Arme um die Schultern der Frauen, Hände griffen nach Händen, Finger verschränkten sich ineinander, pärchenweise schlenderten wir über den Markt, und nur einmal drehte ich mich um, sah Cedric am Bühnenrand stehen, allein.
Später, nach ausgiebigem und tröstlichem Liebesapfel-Genuss, einer Karussellfahrt und dem Kauf von Yoga-Entspannungsduftkerzen, landeten wir im Chez Lutz. Wir belegten selbstverständlich den größten Sechsertisch in der Mitte des Raums, Lutz entfernte ebenso selbstverständlich das Reserviert-Schild. Natürlich werde man einen anderen Platz für die Urlaubergruppe finden. Und erst als wir saßen, bemerkte ich sie. Im selben Moment, in dem sie uns sahen und zu uns herüberwinkten: Delphine de Brulée und Matthias Glatthaler, am Tisch in der Nische, zwischen Bar und dem schweren Vorhang zur Küche. War Matthias Glatthaler etwa auch auf dem Pfingstmarkt gewesen? Hatte er gehört, wie seine Tochter Schlampe genannt wurde? Sie standen gleichzeitig auf, schritten auf mich zu, Delphine lächelnd, erhaben, schön wie immer, Matthias Glatthaler verlegen und etwas derangiert. Seit zehn Jahren seien sie zusammen, hatte Cedric mir erzählt, stritten sich und liebten einander. Und diese zehn Jahre sah man ihnen an, dieses gemeinsame Leben. Gegen das Therese niemals ankommen würde. Zum zweiten Mal in dieser Woche tat meine Mutter mir leid.
»Hallo … äh … Susn!« Matthias Glatthaler breitete die Arme aus, ließ sie dann, als ich mich nicht hineinstürzte, wieder sinken und küsste auf französische Art die Luft neben meinen Wangen.
»Ich bin eben erst gekommen, ich wollte euch noch besuchen! Wie geht’s? Alles klar mit dem Hochzeitskleid?«
»Ah oui! Le Ochzeitskleid! Isch abe etwas für disch, Susn! Moment!«
Delphine rannte zum Tisch zurück, durchwühlte die beiden Riesenhandtaschen, die an ihrem Stuhl hingen, während Matthias Glatthaler und ich einander verlegen ansahen, bis Christiane schließlich die Situation mit einem »Jetzt setzt euch doch zu uns!« rettete. Stühle wurden gerückt, Platz geschaffen für eine zierliche und eine etwas breitere Person, und alle schauten zu, wie ich das flache Päckchen auspackte, das Delphine zu mir herüberschob. Eine teuer aussehende Schachtel. Darunter Seidenpapier.
Sie habe es sich aus Paris schicken lassen, sagte sie, und wie Paris sah es auch aus, das, was ich mit ungeschickten Händen aus dem Seidenpapier schälte. Feinste Spitze. Cremefarben. Ein sündiger Hauch von einem Kleidungsstück.
Man könne, lächelte Delphine, dieses Negligé auch unter dem Hochzeitskleid tragen. Und naturellement nach’er.
»Für die Après-Ochzeit! La nuit, tu comprends?« Worauf ich noch tiefer errötete. Und beschämt meinen Dank stammelte, ich
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