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Paarungszeit: Roman (German Edition)

Paarungszeit: Roman (German Edition)

Titel: Paarungszeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Brendler
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in flammenden Lettern darauf. Wir streiken! Keine Müllberge mehr auf den Straßen! Unterstützt die Reinigungskräfte Neuenthals!
    Die einzige Reinigungskraft Neuenthals stand breitbeinig vor der Feuerwehrkneipe, auf seinen Besen gestützt. Und jetzt sah sie auch die Franzosen, Delphine, schick wie immer, neben ihr Matt, Cedric, Lucien.
    Nein, sie würde jetzt nicht rot werden, und auch ihr Herz würde nicht schneller klopfen, wenn Lucien zu ihr herübersah. Hatten sie nicht in dem Meditationskurs vor Jahren eine solche Übung gemacht? Den Herzschlag verlangsamen? Nachdem sie versucht hatten, nur durch das linke Nasenloch zu atmen? Oder war das etwa die Übung gewesen? Sollte sie zur Sicherheit versuchen, durch das linke Nasenloch zu atmen? Aber es war ihr schon damals nicht gelungen, ein Nasenloch durch pure Vorstellungskraft aus der Wirklichkeit zu verbannen, und ihr Herz tat, was es wollte, pumpte, hüpfte. Schon kroch Hitze in ihr hoch, wallte auf, schwül war’s heute, nach dem Regen knallte die Sonne aufs Pflaster, und die Straße samt Müll schien zu dampfen.
    »Da haben wir die Bescherung«, sagte Christiane Breitner. »Deine Franzosen haben das Volk aufgewiegelt.«
    »Wie … wieso … meine Franzosen?« Dieser fiese Kopfschmerz, ein Schmerz wie ein Belag, der ihr Gehirn überzog, träge, viel zu träge ihre Gedanken. Was grinste ihre Wahlberaterin so, was hob sie die rechte Braue, musterte sie? Jetzt pustete Christiane eine Ponyfranse aus ihrer Stirn.
    »Okay. Vielleicht sind es auch ein bisschen meine Franzosen. Egal. Auf jeden Fall zeigen unsere Franzosen uns gerade, wie Revolution funktioniert, und ich hoffe, deine sächsischen Gäste werden nicht noch Wir-sind-das-Volk-Parolen unter die Leute bringen.«
    Wieso waren ihre Franzosen jetzt auch Christianes Franzosen? Sie verstand gar nichts mehr, wollte aber auch nicht fragen, versuchte, ihren Kopfschmerz wegzuatmen, ruhig die Lage zu sondieren. Tonis Metzgerbus wartete knatternd an der roten Ampel, dahinter weitere Autos, vor der Feuerwehrkneipe plauderten die Franzosen liebenswürdig mit Anderl und Resi, wobei Lucien zu ihr herübersah. Den Straßenrand säumte eine Nordic-Walking-Gruppe, kollektiv staunend. Sie ließ ihre Wahlberaterin stehen, ging auf Franzi zu, die aus der offenen Tür des Edekamarkts trat, eine Kiste vergammelter Salatköpfe auf den Armen.
    »Was ist hier los?«
    »Was soll scho los sein? Mia streiken. Die Delphine hot uns alles erklärt. Des kann ned angehn, dass mia den Dreck von den Strobls wegmacha müssen. Und i mach a Inventur. Wenn i scho dabei bin. Halt amoi gschwind.«
    War Franzi narrisch? Drückte ihr die dreckerte Kiste in die Hände! Therese bückte sich, stellte die Salatköpfe ab. Was, Mariaundjosef, glaubte Franzi …
    Im nächsten Moment sprang sie zurück, Bremsen quietschten, vor ihr ein Schwein, jesses, ein Schwein, das sich die Nägel lackierte! Die Motorhaube von Tonis Bus. Der direkt vor der Kiste stand, knatternd und spuckend, anscheinend war die Ampel jetzt grün … Ein weiteres Quietschen kappte diesen Gedanken, etwas krachte, knallte, ein Aufschrei, jemand zog sie zurück, weg von der Straße, Himmiherrgott, Lucien! Ihr Herz! Er hielt sie höflich am Ellbogen, fragte, auf Englisch, ob alles okay sei, yes, all okay, yes. Dann ein kräftiges: »Mileckstamoarschvarreg, was musst denn bremsen, mitten auf der Straßn?«
    Der Mohnauer Metzger stieg aus seinem Mercedes, der in Tonis Heck gekracht war. Auch Toni entkletterte ihrem Bus, anscheinend unversehrt. Ihre Arme, nackt und rosig, ragten aus der weißen, leicht blut- oder nagellackbespritzten Kittelschürze, ihr Gesicht glühte.
    »Wegen dem Salat hob i bremst!«
    »Bist narrisch, wer bremst denn wegen Salat!«
    »Wieso? I brems aa für Salatköpf, ned nur für Wurscht! Und die Therese war ja aa no do.«
    »Pooolizei! Lassts mi durch!« Von der Ampel her näherte sich Fredls Motorrad, und immer noch hielt Lucien höflich Thereses Ellbogen, als könnte sie nicht allein stehen. Und ihr war auch schwindlig, mei! Die dampfende Schwüle, sie ging ihr auf den Kreislauf, alles erschien so unwirklich: Lucien an ihrer Seite, das Gebrüll der Unfall-Kontrahenten, Matts belämmerter Blick von der anderen Straßenseite. Er musste es gewesen sein, gestern, auf der Toilette, der Gedanke war nicht mehr zu verdrängen, als streikten auch die Reinigungskräfte ihres Hirns. Hielt er sie jetzt für eine Britschn? Die sich Männern mit Vorliebe in besonderen, gar

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