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Paarweise

Paarweise

Titel: Paarweise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Lermer
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Weil er so unsäglich schön war, geschah es ihm, dass auch er sich in Narcissos – also in sich selbst – verliebte; konkret: in sein Spiegelbild, das er in einer Quelle erblickte. Das Drama begann, als die Nymphe Echo so sehr dem Schönen verfiel, dass sie ihn unbedingt haben wollte. Verkennend, dass er sich selbst genug war, nahm sie seine Abfuhr persönlich und beging Selbstmord, sie starb an gebrochenem Herzen – nicht jedoch, ohne vorher die Götter um Rache gebeten zu haben. Das gleiche Schicksal hatte zuvor den abgewiesenen Freund Ameinias ereilt. Das Urteil der Götter war hart: Lebenslänglich unerfüllbare Selbstliebe für Narcissos. Die Folge: Selbstmord durch Ertrinken. Zur Narzisse verwandelt wird er ewig wiedergeboren.

    Jeder Mensch kommt als Narziss auf die Welt: Der Säugling ist so mit sich selbst beschäftigt, dass er überhaupt noch kein Interesse (»Interesse« = darin sein) an seiner Umgebung haben kann. Würde dieser Zustand beibehalten oder eines Tages wieder eingenommen werden, so könnte man von der Krankheitsform Schizophrenie sprechen: Der Schizophrene ist der absolute Narzisst , weil er sich stärker an seiner Wahnwelt orientiert als an der wahrnehmbaren Welt, die wir Wirklichkeit nennen. Sigmund Freud definierte den Narzissmus der Babys als primär , also als ersten und ursprünglichen Narzissmus – man kann ihn auch den »unschuldigen Narzissmus« nennen. Der »krankhafte Narzissmus« wurde von Freud als sekundärer Narzissmus bezeichnet. Er gilt als psychotische Reaktion auf die Welt, eine Art beleidigter Rückzug auf sich selbst – weil die Liebe, die man geben wollte, nicht angenommen wurde. Gemeint ist hier die frühe Phase der Mutter-Kind-Beziehung, in der das Kleinkind nach der ersten Entdeckung, dass es nicht allein ist auf der Welt, nach Austausch strebt: Wird es hier tief enttäuscht, beständig überrumpelt oder seelisch vergewaltigt, dann wird es nicht lernen, an sich selbst zu glauben. Statt des Selbstgefühls »Ich bin gut so, wie ich bin« entsteht das andauernde stresserzeugende Gefühl »Ich muss mich anstrengen, so zu werden, wie ich glaube, sein zu sollen .« Die große Energieverschwendung beginnt. Die fortwährende Außenorientierung verhindert eine gesunde seelische Entwicklung zu einem reifen Selbst, das seine Mitte gefunden hat.

    Fallbeispiel: Sie verliebt sich bei Gericht – eine durch Narzissmus zerstörte Ehe
    Wieder einmal war etwas passiert. Wie so oft kommen die Paare erst dann zu mir, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist. Diesmal war es eine besonders pikante Geschichte, für einen Nichtpsychologen schwer nachvollziehbar. So erging es auch ihrem Ehemann. Angefangen hat es während einer Gerichtsverhandlung, in der der Mann, unschuldig, von einer rachsüchtigen ehemaligen Mitarbeiterin der Steuerhinterziehung verdächtigt wurde.
    Seine Frau kannte die Zahlen der kleinen Firma, kannte die Korrektheit ihres Mannes, und sie kannte diese Ex-Mitarbeiterin, der nicht grundlos zuvor gekündigt worden war. Der Prozess langweilte sie. Der Ausgang war klar. Es handelte sich nur noch um etwas langwierige Formalitäten, die der Rechtsstaat eben so vorsieht. Aus Langeweile und Neugierde − sie kommt selten ins Gericht − besuchte sie eine andere Verhandlung. Und das Verhängnis begann. Der ganze Raum ein lebendiger Krimi. Im Mittelpunkt ein Mann: groß, dunkelhaarig, gut gekleidet, charmant, intelligent, wache Augen. Er sollte der Mörder sein. Er postulierte seine Unschuld und nahm die immer erdrückenderen Zeugenaussagen mit einer stoischen Haltung hin.
    Jetzt stand der mutmaßliche Mörder nur ein paar Meter von ihr entfernt und blieb immer noch gelassen, selbst als er schuldig gesprochen wurde. Ihre Blicke hatten sich nur kurz getroffen, aber so, dass ihr schwindlig wurde. Plötzlich wusste sie, was sie so lange vermisst hatte. Diese Lebendigkeit. Dieses Empfinden von Seelenverwandtschaft. Was war ihr Mann doch für ein Langweiler.

    Aus diesem Grund kam das Paar zu mir. Die Prozess-Geschichte ist bereits Monate her. Die Frau betreibt einen regelmäßigen Briefwechsel mit dem Verurteilten und besucht ihn regelmäßig im Gefängnis. Gemeinsam schmieden sie bereits Zukunftspläne für die Zeit nach seiner Freilassung, auch wenn das noch Jahre entfernt ist. Noch wohnt sie bei ihrem Mann. An Sex mit ihm ist nicht zu denken. Sie leben wie Geschwister in einer Hausgemeinschaft zusammen.
    Im Einzelgespräch berichtet er mir von seiner

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