Paarweise
können, wenn der neue Menschentypus des 21. Jahrhunderts von Generation zu Generation anders wird – eine rasche Anpassungsleistung an die neuen Lebensformen der heutigen Welt, in der vieles »machbar«, aber auch vieles »unterlassbar« scheint: Kopfrechnen? Es gibt den Taschenrechner; man lässt rechnen; der Chip ersetzt den Kopf. Landkarten? Es gibt Navigationsgeräte. Sparen mit dem Sparbuch? Ab einer gewissen Inflationsrate, ab einem gewissen Kaufkraftschwund grenzt dieses Verhalten an Dummheit. Schuldenmachen, Leasing, Ratenzahlung scheinen dagegen klug zu sein. Die Generationskonflikte sind vorprogrammiert. Wer vor 50 Jahren aufgewachsen ist, glaubte eher noch an Werte wie Sparen und Bewahren, die Nation, das Vaterland; dem Wohl der Gemeinschaft zu dienen, sich als würdiger Staatsbürger zu erweisen, kam für ihn vor der Lust, seine Bedürfnisse zu erfüllen. »Gib Gas, ich will Spaß!« galt als verwerflich, egoistisch. Diese vornarzisstische Zeit endete schließlich in den 70er-Jahren, als etwa Fritz Riemann das Buch »Die schizoide Gesellschaft« veröffentlichte. Das Thema beschäftigte nicht nur die Fachwelt auf ihren Kongressen und Symposien. Die interessierten Intellektuellen diskutierten so zeitgeistreiche Titel wie »Das Zeitalter des Narzissmus« von Christopher Lasch. Die erschütternde Psychoanalyse des »neuen Patienten«, beschrieben von der Züricher Analytikerin Alice Miller, traf für Hunderttausende von Lesern den Nerv der Zeit. Ihr auch heute noch lesenswertes Buch »Das Drama des begabten Kindes – und die Suche
nach dem wahren Selbst« wurde für sehr viele Menschen zum entscheidenden Anstoß, eine Therapie zu beginnen, ein psychologisches Seminar aufzusuchen oder anhand von Diskussionen und Tagebuch-Analysen das eigene Leben endlich in die Hand zu nehmen.
Dieses scheint das Hauptproblem des narzisstischen Menschen unserer Zeit zu sein: Gefällig und charmant gelingt es ihm überall, so gut anzukommen und verwöhnt zu werden, dass er Anerkennung und Bewunderung erfährt; nur übersieht er dabei, wo seine eigentlichen Wünsche und Bedürfnisse liegen. Scheinbar satt zu sein, befriedigt eben nicht.
Das Drama ist noch größer bei einem intelligenten, wachen und sensiblen Kind, da dieses feinfühliger die Bedürfnisse seiner Eltern als seine eigenen spürt und versucht – dem Gebot der Liebe zu den Eltern folgend – nur diese zu erfüllen. Das klingt ideal – ginge es nicht auf Kosten der Selbstentwicklung. Eigene Gefühle wie Wut, Angst oder der Wunsch nach intensiver Nähe und Zärtlichkeit werden unterdrückt oder gleich ganz abgespalten.
Eine neurotische und psychosomatische Erkrankung ist meist die Reaktion auf eine seelische Verletzung, die das Toleranzmaß dieser Persönlichkeit überschritten hat. Die Seele braucht Zeit zur Regeneration. Über die Krankheit »darf« der Mensch pausieren, also sich vom Zwang zu funktionieren zurückziehen und regredieren, damit in einen Reife-Zustand zurückfallen, in dem er noch verwöhnt wurde. Im Krankheitszustand wird er wieder zum Zentrum der Welt – wie einst als Baby. Niemand ist ihm böse, wenn er nicht anruft oder mailt, wenn er sich nicht um die anderen kümmert. Er ist ja krank, er muss
sich jetzt vor allem um sich selbst kümmern und alles tun, um wieder gesund zu werden. Ja, mehr noch: Man bringt ihm Blumen und Obst, verwöhnt ihn mit besonders viel Zuwendung und Aufmerksamkeit. Damit steigt das Selbstwertgefühl, der Körper wurde verwöhnt und wieder versöhnt – mit der Ruhepause ließ sich das Gefühl der psychischen Identität regenerieren, man kam wieder zu sich, man hatte Zeit zum Nachdenken, man weiß wieder besser, wer man ist und was man will bzw. machen wird. Allerdings hat die Krankheit selbst wieder verletzenden Charakter, weil sie einen auf deutlichste Weise mit der menschlichen Unvollkommenheit und Ohnmacht gegenüber der Krankheitsentstehung konfrontiert (»dass gerade mir das passieren musste«). Insofern ist Krankheit meist gleichzeitig Sühne dafür, dass man seinem eigenen übersteigerten Ich-Ideal vielleicht nicht genügt hat. Letztlich hat die Krankheit aber meist die Funktion, das Selbstwertgefühl zu steigern, die positive Beziehung zum eigenen Körper wiederzufinden und das Gefühl der psychischen Identität zu stärken, alles drei wesentliche Merkmale des narzisstischen Selbst. So führt eine seelische oder körperliche Krankheit fast immer zur Erstarkung der narzisstischen Position, der
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