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Paarweise

Paarweise

Titel: Paarweise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Lermer
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Narzisst tankt auf. Häufiges Ausruhen und eine hypochondrische Eigenschau sind weitere Tankstellen für die narzisstische Persönlichkeit, wenn zu wenig Anerkennung von anderen kommt.
    Das mag jetzt beinahe so klingen, als ob eine narzisstische Persönlichkeit nur ein Mensch mit Minderwertigkeitskomplexen wäre, wo er doch offenbar so viel Lob, Anerkennung und Bewunderung braucht und auch bekommt. Aber es ist ganz anders. Denn der von Minderwertigkeitskomplexen Geplagte
ist ja von Zweifeln und Unsicherheit geschlagen und versucht, sich mit »erworbener« Bestätigung und erheischten Komplimenten über Wasser zu halten – die Energie verpufft beim Strampeln. Dem mit Minderwertigkeitskomplexen Beladenen fehlt viel – im Vergleich zum Narzissten vor allem der Mut zur Grandiosität.
    Narzissmus – ein Zeitgeistproblem?
    Ist dann der heutige Narzisst einfach ein moderner Egoist, der bloß an sich denkt? Der klarste Unterschied liegt wohl darin, dass der Menschentyp, den wir als Egoisten bezeichnen, nur nimmt – und sich damit natürlich des höchsten Glücksgefühls, des freiwilligen und gezielten Gebens beraubt. Der Narzisst kann geben. Seine Besonderheit ist allerdings die eingeschränkte Sicht, er konzentriert alles in egozentrischer Form auf sich. Er ist so damit beschäftigt zu gefallen, es allen recht zu machen, von allen Bewunderung und Anerkennung zu erfahren, dass er egoistisch wirken mag, ohne es zu sein. Wenn er anderen wirklich nichts gibt, dann rührt das daher, dass er deren Bedürfnisse gar nicht wahrnimmt. So bekommt er oft den Vorwurf zu hören, er habe ja kein echtes Interesse an den anderen.
    Narzissmus hat vor allem mit Selbstbewusstsein, Selbstwertgefühl, Selbstachtung, Selbstfindung, Selbstwerdung, Selbstsicherheit, Selbstständigkeit, Selbstverwirklichung zu tun. Wo bleibt da vor lauter Selbst noch Raum für einen anderen, für den Partner – also sich selbst und einen anderen lieben zu
können? Diese Form der Lebenskunst setzt voraus, die Stufe der Selbstverwirklichung – die höchste Stufe der individuellen Persönlichkeitsentwicklung – erreicht und überschritten zu haben. Was dann kommt, ist die so genannte Selbst-Transzendenz, die Fähigkeit, sich selbst einmal von außen zu betrachten, das Selbst einmal etwas warten zu lassen oder in den Hintergrund zu rücken, weniger aus Masochismus, denn aus sozialer Klugheit. Da Narzissmus aber stets mit Abhängigkeit von anderen zusammenhängt, heißt das Ziel, den Narzissmus zu überwinden.
    Krankhafter und gesunder Narzissmus
    Ein Narzisst ist ein Mensch, der auf Partys, in Lokalen und in der Glamour-Szene die Blicke aufsaugt wie eine Blume die Sonnenstrahlen, um dann allein zuhause in tiefe, depressive Apathie zu verfallen – wie eine Blume, die ihre Blütenblätter in der Nacht schließt. Der Unterschied: Die Blume wird am nächsten Morgen sich auch dann wieder öffnen können, wenn es regnet. Das narzisstische, verarmte Ich ist aber eher mit der Marionette »Nimmersatt« zu vergleichen, die nur dann lächeln wird, wenn von außen am richtigen Faden gezogen wird. Es ist wie eine Art Sucht nach neuer Zufuhr an Anerkennung, Bewunderung und Zuwendung – eine schillernde Seifenblasen-Identität. Die Verbreitung dieses Menschentyps beschäftigt heute nicht nur Politiker und Psychologen, sie hat bereits eine regelrechte Bewusstseins-Industrie hervorgebracht. Es sieht so aus, als ob die Medien vorübergehend die Verantwortung
für diesen außengeleiteten, nach sinnvoller Orientierung hungernden Menschentyp übernehmen müssen, bis sich die heute vielfach beschriebene Kulturwende des neuen Zeitalters vollzogen hat.
    In den Jahren vor 1900 galt Narzissmus noch als sexuelle Perversion. Erst die Psychologie sah im Narzissmus eine Variante des Größenwahns, eine Art erotisches Pendant zum eher biologischen Selbsterhaltungstrieb. »Ein starker Egoismus schützt vor Erkrankung, aber endlich muss man beginnen zu lieben, um nicht krank zu werden, und muss erkranken, wenn man infolge von Versagung nicht lieben kann« (Freud 1914).
    Der Narzisst – einer, der vor lauter Selbstbespieglung für andere keine Liebe übrig hat? Ist der Narzisst nun ein Gebeutelter zwischen Grandiosität und Depressivität, zwischen Angst vor allzu großer Nähe in einer Partnerschaft und der Angst vor dem Alleinsein, dem »horror vacui«, der Konfrontation mit der inneren Leere, die Panik auslöst? Die Folge: Der Narzisst ist neidisch, eifersüchtig und

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