Packeis
und dann habe ich Schüsse gehört.«
Ein gequälter Ausdruck trat in die blauen Augen. »Ich fürchte, sie alle wurden getötet.«
»Getötet! Aber warum?«
»Die Männer, die sie getötet haben, wollten keine Zeugen.«
»Zeugen
wovon?
«
»Von deiner Ermordung. Oder Entführung. Ich bin mir nicht sicher, was sie vorhatten, nur dass es nichts Gutes war.«
»Das ergibt keinen Sinn. Ich bin erst vor zwei Tagen hier angekommen. Ich bin völlig fremd in diesem Land. Ich bin wie die anderen nicht mehr als ein ordinärer Knochensammler.
Welchen Grund sollte jemand haben, mich zu ermorden?«
Schroeder wandte den Kopf ein wenig zur Seite, als ob er auf etwas lauschte, dann knipste er die Lampe aus. Seine weiche Stimme klang kühl und tröstend durch die Dunkelheit. »Sie glauben, dass dein Großvater ein Geheimnis von höchster Bedeutung kannte. Sie glauben, dass er es an dich weitergegeben hat, und sie wollen dafür sorgen, dass niemand anderer jemals davon erfährt.«
»Großvater!« Karla lachte beinahe trotz ihrer Schmerzen.
»Das ist lächerlich. Ich kenne kein Geheimnis.«
»Trotzdem glauben sie es, und das alleine ist wichtig.«
»Dann ist es
meine
Schuld, dass diese Wissenschaftler sterben mussten.«
»Ganz sicher nicht. Die Männer, die abgedrückt haben, sind die einzigen Schuldigen.«
Er drückte ihr die Taschenlampe in die Hand, um bei ihr wenigstens ein Minimum an Kontrolle über ihre angeschlagene Psyche wiederherzustellen. Sie knipste die Lampe wieder an und ließ den Lichtstrahl über schwarzen Fels wandern, der Decke und Wände ihrer Umgebung bildete.
»Wo sind wir?«, fragte sie.
»In einer Höhle. Ich habe dich hierher getragen. Es war reines Glück, dass ich eine niedrige Stelle gefunden habe, wo ich aus dem Graben herausklettern konnte und sofort auf eine natürliche Felswand stieß. Sie war von Rissen durchzogen, und ich dachte, wir könnten uns in einer der engen Felsspalten verstecken. Dann entdeckte ich eine Öffnung am Ende einer dieser Spalten. Ich habe ein paar Büsche abgeschnitten und um den Eingang zu dieser Höhle drapiert.«
Sie griff in die Dunkelheit und fand seine große Hand.
»Vielen Dank, Onkel Karl. Du bist ein richtiger Schutzengel.«
»Ich habe deinem Großvater versprochen, dass ich auf dich aufpassen würde.«
Karla saß in der Dunkelheit und dachte an das erste Mal, als sie Schroeder begegnet war. Sie war ein junges Mädchen gewesen und lebte im Haus ihres Großvaters, nachdem ihre Eltern gestorben waren. Eines Tages erschien er mit einem Arm voller Geschenke. Er kam ihr damals riesengroß und stark vor, mehr wie ein wandelnder Baum als wie ein Mensch. Trotz der Kraft, die er ausstrahlte, schien er fast schüchtern zu sein, aber ihr kindliches Auge hatte auf Anhieb etwas Gütiges, Entgegenkommendes in seinem Verhalten entdeckt, und sie freundete sich schnell mit ihm an.
Das letzte Mal hatte sie ihn anlässlich der Beerdigung ihres Großvaters gesehen. Er vergaß niemals ihren Geburtstag und schickte ihr jedes Jahr eine Glückwunschkarte mit Geld in einem Briefumschlag, bis sie das College beendete. Sie hatte keine Ahnung von der Verbindung zwischen Schroeder und ihrer Familie, aber sie wusste, weil sie die Geschichte mehrmals gehört hatte, dass ihr Großvater ihre Eltern nach ihrer Geburt gedrängt hatte, sie nach dem geheimnisvollen Onkel zu benennen.
»Ich habe keine Ahnung, wie du mich an diesem abgelegenen Ort finden konntest«, sagte Karla.
»Das war nicht schwierig. Die Universität verriet mir, wo du bist. Hierherzugelangen war der schwierige Teil. Ich habe ein Fischerboot gemietet, das mich herbrachte. Als ich in eurem Lager niemanden antraf, folgte ich eurer Spur. Wenn du das nächste Mal eine Expedition unternimmst, dann bitte nicht ganz so weit weg. Ich werde allmählich zu alt für solche Abenteuer.«
Er spitzte die Ohren. »
Pssst.
«
Sie saßen stumm in der Dunkelheit und lauschten. Sie hörten gedämpfte Stimmen und das Scharren von Schuhsohlen auf Fels und Geröll am Höhleneingang. Dann wurde die Dunkelheit durch gelbliches Licht aufgehellt, als die Büsche, die den Eingang versperrten, beiseite geräumt wurden.
»Hey da drin!«, rief eine männliche Stimme auf Russisch.
Schroeder drückte Karlas Hand als Aufforderung, still zu sein.
Es war eine unnötige Geste, denn sie war starr vor Angst.
»Wir wissen, dass ihr da drin seid«, sagte die Stimme.
»Wir können genau sehen, wo jemand die Büsche abgeschnitten hat. Es ist nicht sehr
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