Paganinis Fluch - Kepler, L: Paganinis Fluch - Paganinikontraktet
antwortete nicht, schluckte nur hart. Zwei große Tränen liefen ihre Wangen herab.
»Greta, was ist los?«, wiederholte er.
»Du hast gesagt, du hättest nicht geübt«, sagte sie.
»Nein, ich … ich«, stammelte er. »Ich habe dir doch erzählt, dass es mir leichtfällt, neue Stücke zu lernen.«
»Gratuliere.«
»Es ist nicht, wie du denkst.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Ich begreife nicht, wie ich so dumm sein konnte«, sagte sie.
Er legte Geige und Bogen fort, aber sie kehrte ins Schlafzimmer zurück und schloss die Tür hinter sich. Er zog eine Jeans an, die über einem Stuhlrücken hing, ging zur Tür und klopfte an.
»Greta? Darf ich reinkommen?«
Sie antwortete nicht. Er spürte in seinem Inneren die Sorge wachsen. Einen Moment später trat sie vollständig angezogen aus dem Zimmer. Sie sah ihn nicht an, ging nur zum Flügel, packte ihre Geige ein und ließ ihn allein.
*
Das Konzerthaus war ausverkauft. Greta trat als Erste der Finalisten auf. Als sie kam, sah sie ihn nicht an, grüßte ihn nicht. Sie trug ein tiefblaues Samtkleid und eine schlichte Halskette mit einem Herzen.
Axel saß in der Künstlergarderobe und wartete mit halb geschlossenen Augen. Es war vollkommen still. Das einzige Geräusch war ein schwaches Säuseln hinter einem staubigen Belüftungsgitter aus Plastik. Sein jüngerer Bruder Robert kam zu ihm.
»Willst du nicht bei Mama sitzen?«, fragte Axel.
»Ich bin zu nervös … ich kann nicht zusehen, wenn du spielst, ich bleibe lieber hier sitzen und warte auf dich.«
»Spielt Greta schon?«
»Ja, es klingt schön.«
»Für welches Stück hat sie sich entschieden, war es Tartinis Violinsonate …«
»Nein, es war etwas von Beethoven.«
»Gut«, murmelte Axel.
Sie saßen wortlos zusammen, blieben stumm. Nach einer Weile klopfte es an die Tür. Axel stand auf und öffnete einer Frau, die erklärte, nun sei er bald an der Reihe.
»Viel Glück«, sagte Robert.
»Danke«, sagte Axel, nahm Geige und Bogen und begleitete die Frau durch einen Korridor.
Von der Bühne schlug ihm lauter Applaus entgegen, und Axel erhaschte einen kurzen Blick auf Greta und ihren Vater, als die beiden in ihre Garderobe eilten.
Axel ging durch den Gang und musste anschließend hinter einem Schirm neben der Bühne warten, bis der Conferencier ihn vorstellte. Nachdem er seinen Namen gehört hatte, ging er geradewegs in das blendende Scheinwerferlicht hinaus und lächelte dem Publikum zu. Ein Raunen ging durch den Konzertsaal, als er erklärte, er werde Maurice Ravels »Tzigane« spielen.
Er setzte die Geige an und hob den Bogen. Dann begann er, die wehmütige Einleitung zu spielen und trieb das Tempo anschließend in Richtung des Unmöglichen. Das Publikum hielt den Atem an. Er hörte selbst, dass es absolut brillant klang, aber diesmal perlte die Melodie nicht wie das Wasser eines Bachs. Er spielte nicht glücklich, sondern wie der richtige Näck. Er spielte mit gehetzter, fiebriger Trauer. Als er drei Minuten gespielt hatte und die Töne fielen wie nächtlicher Regen, begann er, absichtlich einzelne Töne zu überspringen, senkte das Tempo, spielte ein bisschen falsch und brach das Stück schließlich ab.
Es war still im Konzertsaal.
»Ich bitte um Entschuldigung«, flüsterte er und ging von der Bühne ab.
Das Publikum applaudierte höflich. Seine Mutter stand von ihrem Platz auf, eilte ihm hinterher und stoppte ihn im Gang.
»Komm her, mein Junge«, sagte sie und legte ihre Hände auf seine Schultern.
Sie streichelte seine Wange, und ihre Stimme war warm und vor Rührung belegt, als sie sagte:
»Das war unglaublich, die beste Interpretation, die ich jemals gehört habe.«
»Entschuldige, Mutter.«
»Nein«, antwortete sie, wandte sich von Axel ab und verließ den großen Konzertsaal.
Axel ging zu seiner Gaderobe zurück, um seine Kleider zu holen. Auf dem Weg dorthin wurde er vom Dirigenten Herbert Blomstedt aufgehalten.
»Ehe Sie so getan haben, als würden Sie falsch spielen, klang es sehr gut«, sagte dieser mit gedämpfter Stimme.
*
Als Axel nach Hause kam, herrschte eine betäubende Stille im Haus. Es war bereits später Abend. Er ging in die Dachetage hinauf, durch das Musikzimmer und ins Schlafzimmer und schloss die Tür. In seinem Kopf hörte er noch immer die Musik. Er hörte sich ein paar Töne auslassen, unerwartet das Tempo vermindern und verstummen.
Er verstummte immer wieder.
Axel legte sich aufs Bett und schlief neben seinem Geigenkasten ein.
Am nächsten Morgen
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