Paganinis Fluch - Kepler, L: Paganinis Fluch - Paganinikontraktet
verstreut lagen. Es waren drei Alben von David Bowie, »Space Oddity«, »Alladin Sane« und »Hunky Dory«.
Seine Mutter klopfte an die Tür und trat mit einer Flasche Coca-Cola und zwei Gläsern mit Eiswürfeln und Zitronenscheiben ein. Axel bedankte sich leicht erstaunt, nahm ihr das Tablett ab und stellte es auf den Couchtisch.
»Ich dachte, ihr würdet üben«, sagte Alice und schaute sich um.
»Greta musste zum Essen nach Hause.«
»Aber du kannst doch in der Zwischenzeit weitermachen.«
»Ich warte auf sie.«
»Du weißt, dass morgen das Finale ist«, sagte Alice und setzte sich neben ihren Sohn. »Ich übe mindestens acht Stunden am Tag, manchmal habe ich zehn Stunden täglich gearbeitet.«
»Ich bin nicht einmal zehn Stunden am Tag wach«, scherzte Axel.
»Axel, du hast Talent.«
»Woher willst du das wissen?«
»Ich weiß es einfach. Aber das reicht nicht, das reicht bei niemandem«, erklärte sie.
»Mama, ich übe wie verrückt«, log er.
»Spiel mir vor«, bat sie ihn.
»Nein«, entgegnete er schroff.
»Ich verstehe ja, dass du deine Mutter nicht als Lehrerin haben willst, aber jetzt, wo es darauf ankommt, könntest du es ruhig zulassen, dass ich dir helfe«, fuhr Alice geduldig fort. »Als ich dich das letzte Mal gehört habe, was immerhin schon zwei Jahre her ist, auf einem Weihnachtskonzert, hat keiner begriffen, was du da gespielt hast …«
»Bowies ›Cracked Actor‹.«
»Das war unreif … aber für einen Fünfzehnjährigen ziemlich beeindruckend«, gestand sie und streckte die Hand aus, um ihn zu streicheln. »Aber morgen, da …«
Axel entzog sich der Hand seiner Mutter:
»Kritisier mich nicht immer.«
»Darf ich erfahren, für welches Stück du dich entschieden hast?«
»Für etwas Klassisches«, antwortete er mit einem breiten Grinsen.
»Gott sei Dank.«
Er zuckte mit den Schultern und wich ihrem Blick aus. Als es an der Tür klingelte, verließ er den Raum und eilte die Treppen hinunter.
Es dämmerte bereits, aber der Schnee hatte im Freien ein indirektes Licht geschaffen, eine Dunkelheit, die sich nicht weiter verdichtete. Greta stand mit einer Baskenmütze auf dem Kopf und in einem Dufflecoat auf der Eingangstreppe. Der gestreifte Schal war um ihren Hals geschlungen. Ihre Wangen leuchteten rot von der Kälte, und die Haare, die auf ihre Schultern fielen, hingen voller Schneeflocken. Sie legte den Geigenkasten auf die Kommode im Flur, hängte ihren Mantel sorgsam auf, schnürte die schwarzen Stiefel auf und holte ihre flachen Hausschuhe aus der Umhängetasche.
Alice Riessen kam herunter und begrüßte Greta. Sie war aufgekratzt, und ihre Wangen hatten sich vor Freude gerötet:
»Es ist gut, dass ihr euch gegenseitig beim Üben helft«, sagte sie. »Du musst streng sein mit Axel, sonst faulenzt er nur.«
»Das habe ich gemerkt«, erwiderte Greta lachend.
Greta Stiernlood war die Tochter eines Industriellen, der Großaktionär bei Saab Scania, der Enskilda Banken und anderen Unternehmen war. Greta war alleine bei ihrem Vater aufgewachsen – ihre Eltern hatten sich scheiden lassen, als sie noch sehr klein war, und sie hatte ihre Mutter seither nie wieder gesehen. Sehr früh – vielleicht schon vor ihrer Geburt – hatte ihr Vater beschlossen, dass sie Geigerin werden sollte.
Als sie Axels Musikzimmer betraten, ging Greta zum Flügel. Die glänzenden lockigen Haare fielen offen auf ihre Schultern herab. Sie trug eine weiße Bluse und einen Rock im Schottenmuster, einen dunkelblauen Pullunder und eine gestreifte Strumpfhose.
Sie packte ihre Geige aus, befestigte die Kinnstütze, strich mit einem Baumwolllappen das Harz fort, das auf den Saiten haftete, spannte den Bogen und platzierte die Noten auf dem Ständer. Rasch überprüfte sie, dass die Geige sich durch die Kälte und die Feuchtigkeitsunterschiede nicht verstimmt hatte.
Dann begann sie zu üben. Sie spielte wie immer mit halb geschlossenen Augen und in sich gekehrtem Blick. Ihre langen Wimpern warfen zitternde Schatten auf ihr errötendes Gesicht. Das Stück war Axel vertraut: die erste Stimme aus Beethovens fünfzehntem Streichquartett. Ein ernstes und suchendes Thema.
Er lauschte, lächelte und dachte, dass Greta ein Gespür für Musik hatte, eine Ehrlichkeit in ihren Interpretationen, die seinen Respekt weckte.
»Schön«, sagte er, als sie aufhörte.
Sie tauschte die Noten aus und pustete auf ihre wunden Finger.
»Aber ich kann mich nicht entscheiden … weißt du, Vater wollte von mir wissen, was
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