Paganinis Fluch - Kepler, L: Paganinis Fluch - Paganinikontraktet
Freien dringt metallisches Klirren an sein Ohr. Als er in den Salon hinaufkommt, huscht ein Schatten über die Glastüren. Joona reagiert schnell und weicht einen Schritt zurück, ins Dunkel der Treppe hinab.
12
Ein ungewöhnlicher Tod
Joona Linna steht vollkommen still auf der dunklen Treppe, die zur Pantry und zum vorderen Schlafzimmer der Jacht führt. Von dieser Position aus überblickt er den untersten Abschnitt der Glastüren und einen Teil des Achterdecks. Ein Schatten huscht über das staubige Glas, und plötzlich wird eine Hand sichtbar. Jemand kriecht langsam vorwärts. In der nächsten Sekunde erkennt Joona Erixons Gesicht. Dem Kriminaltechniker laufen Schweißtropfen die Wangen herab, als er rund um die Tür Gelatinefolie auslegt.
Joona geht mit der Tasche aus dem Schlafzimmer in den Salon hinauf. Vorsichtig leert er den Inhalt auf dem kleinen Tisch aus Edelholz aus. Dann nimmt er mit seinem Stift das rote Portemonnaie auf. In einem zerkratzten Plastikfach steckt ein Führerschein. Er schaut genauer hin und sieht ein hübsches, ernstes Gesicht im Blitzlicht eines Automaten. Die Frau sitzt leicht zurückgelehnt, als blickte sie zum Betrachter hoch. Sie hat dunkle, lockige Haare. Er erkennt das Mädchen aus dem Obduktionssaal, die gerade Nase, die Augen, die südamerikanischen Züge.
»Penelope Fernandez«, liest er und meint, den Namen schon einmal gehört zu haben.
In Gedanken kehrt er in die Pathologie und zu dem nackten Körper auf dem Tisch in dem gekachelten Raum zurück, zum Leichengeruch, den schlaffen Zügen in einem Gesicht jenseits des Schlafs.
Draußen, in der Sonne, verschiebt sich Erixons voluminöser Körper Zentimeter für Zentimeter, während er auf der RelingFingerabdrücke sichert, mit Magnetpulver bepinselt und mit Tape abnimmt. Vorsichtig wischt er eine feuchte Oberfläche trocken, tröpfelt SPR -Lösung darauf und fotografiert die auftauchenden Abdrücke.
Joona hört ihn unentwegt schwer seufzen, als wäre jede Bewegung mit quälender Mühe verbunden, als hätte er sich in diesem Moment endgültig verausgabt.
Joona blinzelt zum Deck hinaus und sieht neben einem Turnschuh einen Eimer mit einer Schnur liegen. Aus der Pantry schlägt ihm muffiger Kartoffelgeruch entgegen.
Sein Blick kehrt zu dem Führerschein und dem kleinen Foto zurück. Er betrachtet den Mund der jungen Frau, die Lippen, die leicht geöffnet sind, und denkt unvermittelt, dass etwas fehlt.
Er hat das Gefühl, etwas gesehen zu haben, irgendetwas hat ihm auf der Zunge gelegen, aber dann ist der Gedanke wieder verschwunden.
Joona zuckt zusammen, als das Handy in seiner Tasche summt. Er zieht es heraus, sieht im Display, dass es Åhlén ist, und meldet sich.
»Joona.«
»Mein Name ist Nils Åhlén, ich bin Chefpathologe der Rechtsmedizin in Stockholm.«
Joona verzieht den Mund. Sie kennen sich seit zwanzig Jahren.
»Hat sie sich vielleicht den Kopf angeschlagen?«, fragt Joona.
»Nein«, antwortet Åhlén erstaunt.
»Ich dachte nur, dass sie bei einem Sprung ins Wasser vielleicht gegen einen Stein gestoßen sein könnte.«
»Nein, nichts dergleichen – sie ist ertrunken, das ist die Todesursache.«
»Du bist dir sicher?«, beharrt Joona.
»Ich habe Schaum in den Nasenlöchern gefunden, Schleimhautrisse im Hals, vermutlich aufgrund heftiger Brechreflexe, und es gibt Bronchialsekret sowohl in der Trachea als auch in denBronchien. Die Lunge hat ein für Ertrinken typisches Aussehen, sie ist mit Wasser gefüllt, hat ein größeres Gewicht und … tja.«
Sie schweigen beide. Joona hört ein scharrendes Geräusch, das klingt, als würde jemand einen metallenen Rollcontainer schieben.
»Du hast doch sicher aus einem bestimmten Grund angerufen«, sagt Joona.
»Das ist richtig.«
»Magst du ihn mir nennen?«
»Sie hatte einen hohen Gehalt an Tetrahydrocannabinol im Urin.«
»Cannabis?«
»Ja.«
»Aber daran ist sie nicht gestorben«, sagt Joona.
»Wohl kaum«, erwidert Åhlén amüsiert. »Ich habe mir nur überlegt, dass du gerade versuchst, das Geschehen auf der Jacht zu rekonstruieren …, und dass dies ein kleines Detail in dem Puzzle ist, von dem du noch nichts gewusst hast.«
»Sie heißt Penelope Fernandez«, sagt Joona.
»Angenehm«, murmelt Åhlén.
»War sonst noch was?«
»Nein.«
Åhlén atmet in den Hörer.
»Sag es trotzdem.«
»Es ist nur, dass es kein gewöhnlicher Todesfall ist.«
Åhlén verstummt.
»Was hast du gesehen?«
»Nichts, es ist nur so ein Gefühl …«
»Bravo«,
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