Pain - Bitter sollst du buessen
alles, was du wissen willst«, versprach er, und sie dachte wieder an seine Behauptung, dass er fürchte, sich in sie zu verlieben.
»Wirklich alles?«, fragte sie scherzhaft, und er schickte ihr über die Schulter hinweg einen heißen Blick.
»Alles.«
Ihr Gaumen wurde trocken. Die Brotscheiben sprangen aus dem Toaster, und die Mikrowelle klingelte.
»Warum glaubst du, dass Annie Seger ermordet wurde? Die Polizei war der Meinung, sie habe Selbstmord begangen«, sagte Samantha und schob ihren Teller von sich. Sie und Ty saßen an einem Glastisch unter dem Verandadach, und sie hatte bis zum Ende der Mahlzeit gewartet, um dann die Fragen zu stellen, die ihr seit Stunden im Kopf herumschwirrten.
Ein Kolibri flatterte zwischen den Blüten der Bougainvillea umher, Segelboote schossen über den See. Irgendwo ein Stück die Straße hinunter dröhnte ein Rasenmäher, am wolkenlosen Himmel zerlief der Kondensstreifen eines Düsenjets.
Ty legte den Fuß auf einen der freien Stühle und furchte die Stirn. »Du hast also noch nicht die Zeit gefunden, meine Diskette einzulegen?« Bevor sie etwas entgegnen konnte, fuhr er fort: »Ich weiß, dass du sie genommen hast, und wenn du meinen Bericht gelesen hättest, würdest du es verstehen.« Er beugte sich über den Tisch hinweg zu ihr hinüber. »Annie Seger war völlig verzweifelt, ja, und sie hatte getrunken – sie war auf einer Party gewesen, und dort hatte sie Streit mit ihrem Freund, Ryan Zimmerman, gehabt, wahrscheinlich wegen des Kindes. Das haben Zeugen ausgesagt. Annie hat sich in dieser Nacht von ihrer Freundin Prissy nach Hause fahren lassen. Als sie heimkam, war niemand da. Sie hat noch einmal versucht, dich anzurufen, legte aber auf, bevor sie durchgestellt wurde, und dann wird die Sache verschwommen. Ist sie ins Schlafzimmer ihrer Mutter gegangen, um die Schlaftabletten zu stehlen? Ist sie in die Garage gelaufen, um die Rosenschere zu holen, und dann zurück ins Obergeschoss, um den Abschiedsbrief zu schreiben und sich vorm Computer die Pulsadern aufzuschneiden? Wäre das möglich in Anbetracht der Alkoholmengen in ihrem Blut?«
»Ich dachte immer, so wäre es gewesen.«
»So sollte es aussehen«, berichtigte Ty, »und es ist die einfachste Erklärung. Doch auf dem Teppich fanden sich außer Annies Fußabdrücken noch andere. Als Annie auf der Party war, hat das Hausmädchen Staub gesaugt. Der Teppichflor wies beim Fund der Leiche tiefe Abdrücke auf – von einem großen Fuß.«
»Waren nicht Tausende von Menschen am Schauplatz des Selbstmords? Polizisten, der Notarzt und Sanitäter?«
»Natürlich. Und Jason, ihr Stiefvater, sagte aus, er sei in Annies Zimmer gegangen, um nach ihr zu sehen. Da er die Leiche gefunden hat, dachte sich niemand etwas dabei.«
»Ein großer Fußabdruck auf dem Teppich … Das ist nicht gerade ein großartiges Beweismittel. Im Grunde ist es gar keins«, erklärte sie.
»Ich weiß. Aber auf dem Teppich fand sich Blumenerde aus dem Schuppen, an Annies Schuhen jedoch nicht.«
»Immer noch dünn.«
»Und wie steht es hiermit? Ihre Fingerabdrücke waren an der Rosenschere, klar, aber sie ist Rechtshänderin. Man möchte meinen, dass sie sich zuerst das linke Handgelenk aufschlitzte, mit dem tieferen Schnitt. Aber es war genau umgekehrt.«
»Glaubst du.«
Er nickte.
»Ty, das reicht doch nicht, um ein Buch darüber zu schreiben oder ihren Selbstmord infrage zu stellen«, gab Sam zu bedenken. Sie blickte Charon nach, der durchs Gebüsch schlich. Gedankenverloren rieb sie sich den Nacken und kratzte an dem geschwollenen Hornissenstich. »Warum hätte jemand sie umbringen sollen? Was wäre das Motiv?«
»Ich glaube, es hatte mit dem Kind zu tun.«
Samanthas Magen krampfte sich zusammen. So schrecklich der Gedanke war, dass sich Annie das Leben genommen hatte, die Tatsache, dass auch ihr Baby sterben musste, war mindestens ebenso schmerzlich.
»Ich glaube nicht, dass sie das Kind töten wollte. Ihr Freund wollte, dass sie es abtrieb. Sie weigerte sich. Es verstieß gegen ihr Moralempfinden. Gegen ihren Glauben. Sie war katholisch erzogen worden, vergiss das nicht. Selbstmord und die Tötung des Kindes sind Todsünden.«
»Aber sie war verzweifelt. Das hast du selbst gesagt«, wandte sie ein.
»Und doch trug sie sich nicht mit Selbstmordgedanken. Es gibt noch mehr Indizien, die gegen einen Suizid sprechen. Zum Beispiel die Blutgruppe des Kindes. Niemand hat darauf geachtet, aber Ryan Zimmerman kann nicht der Vater von
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