Pain - Bitter sollst du buessen
bringen, ihn anzuzeigen.«
Nach Bentz’ Meinung war diese Chance gering bis gleich null. Wohl eher gleich null.
»Wie gesagt, das sind nur die Eckdaten. Ich faxe dir, was ich sonst noch herausfinde, und dann mache ich mich an das Profil des zweiten Kerls.«
»Ich weiß das zu schätzen, Norm. Danke.« Bentz legte auf. Er sah seine schlimmsten Vermutungen bestätigt. Zwei Unholde liefen in New Orleans frei herum, Mörder ohne Gewissen, Mörder, die Frauen hassten. Er klickte sich noch einmal durch seine Dateien, überprüfte ungelöste Fälle, Fälle mit groteskem Beiwerk. Einige von ihnen stachen ins Auge, aber der schlimmste Fall war zweifellos der einer Frau, die verbrannt worden war. Die Leiche hatte man am 30 . Mai des Vorjahres zu Füßen der Statue der Johanna von Orleans in der Nähe des Französischen Marktes gefunden. Es war makaber und surreal gewesen, diesen grauenhaft verkohlten Körper zu sehen, der bäuchlings im Gras lag, und es erinnerte Presse und Polizei an die Tatsache, dass die heilige Johanna ein ähnliches Schicksal erlitten hatte.
Manchmal fragte sich Bentz, warum es ihn noch immer in diesem verdammten Beruf hielt.
Weil irgendwer diese Typen aus dem Verkehr ziehen muss, und zum größten Teil machst du deine Arbeit gut, du blöder Kerl.
Er fand ein halb volles Päckchen Kaugummi in seiner obersten Schublade und schob sich einen Streifen in den Mund, dann ging er zum Fenster und blickte hinaus auf die Straße. Autos krochen durch die engen Straßen und stießen Abgase aus, Leute bevölkerten die Gehsteige, doch Bentz nahm sie kaum wahr. Er zerrte an seinem Kragen. Der Schweiß klebte ihm das Hemd an den Rücken. Obwohl die Tür halb offen stand, hörte er weder das Summen der Computer noch die Gespräche im Vorraum. Er hatte die Geräusche ringsum und die Straßenszenen ausgeblendet und grübelte über die Befürchtung nach, dass zwei Serienmörder in der Stadt ihr Unwesen trieben, von denen mindestens einer mit den Drohaktionen gegen Dr. Samantha Leeds in Verbindung stand. Er hatte keine konkreten Beweise, doch ein Gefühl im Bauch sagte ihm, dass der anonyme Anrufer auf irgendeine Weise mit den Morden zu tun hatte. Die verunstalteten Hunderter, die so stark an das durchstochene Foto von Samantha Leeds erinnerten, die Radios, in denen zur Tatzeit ihre Sendung gelaufen war, die Tatsache, dass die ermordeten Frauen Nutten gewesen waren und John Samantha der Prostitution bezichtigt hatte – das alles wies darauf hin. Aber was hatte es mit der Sünde auf sich, die Dr. Sam angeblich begangen hatte? Worin bestand die Vergeltung? Und was hatte das alles mit Annie Seger zu tun, zum Kuckuck?
Er ging zu dem Kassettenrekorder auf dem Sideboard hinüber und drückte die Abspieltaste, um sich einige von den Anrufen zum wohl hundertsten Mal anzuhören, besonders den der Frau, die sich als Annie ausgegeben hatte … Er hatte die Sequenz immer und immer wieder abgespielt, ebenso die Leute im Labor, und er war zu dem Schluss gekommen, dass Annies Anruf aufgezeichnet worden war. Sam hatte keinen leibhaftigen Menschen an der Strippe gehabt. Die Frau, die behauptet hatte, Annie zu sein, hatte Sams Fragen nicht direkt beantwortet, sondern nur zwischen ihren eigenen Aussagen Pausen eingelegt … Als hätte jemand geahnt, was Dr. Sam in der nächtlichen Sendung fragen würde. War also auch noch eine Frau an diesem Chaos beteiligt?
Aber wer?
Eine Frau, die Annie Seger gekannt hatte?
Eine Frau, die mit Dr. Sam zu tun hatte?
Eine Frau, die mit John zusammenarbeitete?
Und wie war der Anruf durch das Auswahlsystem im Sender hindurchgeschlüpft?
Bentz ließ eine Kaugummiblase platzen, griff in seine Gesäßtasche und zog ein Taschentuch heraus, mit dem er sich Stirn und Gesicht abwischte. Wie konnte Montoya bei dieser Hitze eine Lederjacke tragen und trotzdem frisch aussehen? Es war ungeheuer schwül. Erbarmungslos. Bentz brauchte ein Bier. Ein großes Bier – eiskalt, in einem beschlagenen Krug, ja, das würde helfen. Und ein Päckchen Camel ohne Filter. Diese alten Gelüste nach Alkohol und Nikotin setzten ihm arg zu, und als er zurück an den Schreibtisch trat, auf dem die Kopien von Telefonprotokollen verstreut lagen, kaute er verzweifelt auf seinem Kaugummi herum.
Das Protokoll, das ihn interessierte, stammte aus Houston und bezog sich auf Telefonate eines Handys, das auf den Namen David Ross registriert war. Er hatte nicht nur Sams Privatnummer gewählt, sondern auch die des Senders, und zwar in
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