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Pakt der Könige

Titel: Pakt der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ange Guéro
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aber die anderen, alle anderen, lagen in dem Abschnitt, der den Nordosten symbolisierte, und ein Stein, der rötlicher als
alle anderen war, schien eine Spitze zu bilden, einen Pfeil - als zeige er eine Richtung an und gebe einen Befehl.
    Ein Zufall. Oder auch nicht. Die Götter. Oder der Wind. Oder … gleichgültig.
    Arekh holte tief Atem. Nordosten. Gut. Er würde dem Weg Ishnas folgen.
    »Wie viele Meilen?«, fragte er laut, bevor er die Kiesel wieder einsammelte.
    Er zeichnete eine senkrechte Linie vor sich und warf aufs Neue ein paar Steine. Die, die nach rechts fielen, rechnete er als Zehnerschritte, die, die nach links fielen, als einfache.
    Achtundzwanzig, antworteten die Götter.
    Oder der Wind.
    »Soll ich die Kleine mitnehmen?«, fragte er, wieder laut, und warf einen einzelnen Stein.
    Links von der Linie war die Antwort ja, rechts davon nein.
    Der Stein fiel auf die Linie, beinahe genau in die Mitte. Arekh zögerte. Er hob den Blick zu dem Kind, das die Frage gehört hatte und ihn aus türkisfarbenen Augen anstarrte, die wie die billigen Steine glänzten, die Jugendliche auf den Märkten von Reynes verkauften.
    Das Kind war verflucht, begriff er plötzlich. Wenn die Götter seine Hand geführt hatten, dann umschloss die Rune der Gefangenschaft dort oben den bläulichen Stern des Türkisvolks, und dann war das Kind für die Sünden verdammt, die seine Seele belasteten, und sein Blick verbarg einen Abgrund.
    Wenn.
    Wenn es die Götter und nicht der Wind waren.
    Doch das Paradox endete damit noch nicht. Denn es war das Kind, das ihn auf die Idee gebracht hatte, auf dieses
Ritual zurückzugreifen - es hatte ihm die göttliche Botschaft überbracht.
    Darin lag etwas Peinliches, etwas, das ihn verstörte. Nicht die Tatsache, dass die Götter eine schwarze Seele zu ihrer Botin gemacht hatten - die Götter waren geheimnisvolle Wesen, und es gab in den Legenden durchaus noch viel seltsamere Geschichten. Nein, was Arekh verlegen machte, war, dass das Kind von ganzem Herzen daran zu glauben schien, dass es solchen Respekt vor den Göttern empfand, die es verflucht hatten. Wenn die Kleine aufbegehrt hätte, zumindest in Gedanken, wenn sie auf das Göttliche gespuckt hätte, dann wäre alles einfacher gewesen. Sie wäre eine Rebellin gewesen, und Rebellen mussten sterben, mit durchschnittener Kehle auf den Steinen eines vergessenen Hofs im Sommerpalast von Harabec …
    Aber die Kleine begehrte nicht auf. Sie hatte den Satz ihrer Großmutter wiederholt, als sei er die Wahrheit. War ihr bewusst, zu welch einem schrecklichen Schicksal diese Wahrheit sie verdammte?
    Die Augen der Kleinen waren immer noch auf ihn gerichtet, und Arekh begriff plötzlich, dass sie eine Gefahr darstellte. Eine Gefahr für ihn und seinen Seelenfrieden. Wenn er sie jetzt zurückließ oder ihr den Kopf mit dem Schwert des Meriniden abschlug, würde er die Erinnerung an ein begangenes Unrecht zurückbehalten.
    Die kleine Sklavin wirkte so unschuldig, so zerbrechlich. Sie hatte noch keine Gelegenheit gehabt, zu beweisen, wie schwarz ihre Seele war. Er musste sie behalten, damit sie ihm Stück für Stück ihre Verderbtheit enthüllte. Sie musste zum lebenden Beweis für die Weisheit der Götter werden, für die fluchbeladene Natur der Kinder des Türkisvolks.

    Verderbtheit brauchte manchmal sehr lange, bis sie sich offen zeigte, das wusste er aus Erfahrung.
    Er sammelte seine Kiesel ein, bedeutete dem Kind, ihm zu folgen, und die Kleine lief ihm nach.
    Sie gingen. Arekh spürte die Steine in seiner Tasche.
    Einen hatte er in der Hand behalten, als könne der Kiesel ihn führen.
    Ja, das kleine Mädchen würde durch seine Handlungen und die Monstrosität seines Wesens beweisen, dass die Verurteilung des Türkisvolks gerechtfertigt war.
    Arekh handelte nicht aus Mitleid oder aus einer Erinnerung heraus.
    Es war ein Experiment.
    Kein Mitleid.
    Nach einer Viertelmeile drehte er sich um und sah, dass er ihr bereits ein gutes Stück voraus war, so sehr hatte der Hunger sie geschwächt. Irgendwann würden sie an einem Bauernhof vorbeikommen. Wenn der nicht verlassen war, würde Arekh dort Brot und Milch kaufen und sie mit dem Kind teilen.
    Kein Mitleid.
    Nur, damit die Kleine laufen konnte.
     
    Achtundzwanzig Meilen.
    Nach Nordosten.
    Die Götter machten ihm die Sache leichter. Wie so oft westlich der Berge folgte die Straße, auf der sie wanderten, einem der alten, weiß gepflasterten Wege des alten Kaiserreichs. Und dort, wo die schönen Platten aus

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