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Pakt der Könige

Titel: Pakt der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ange Guéro
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düsteren Königreiche im Herzen der Erde, wo die verdammten Seelen heulten und woher die Gespenster kamen, die Abgründe, mit denen man die Nächte der Kinder bevölkerte, indem man ihnen abends Geschichten erzählte, die selbst die Tapfersten hätten erschauern lassen. Ein Reich der Qual und Dunkelheit, das in zahlreichen Tragödien beschrieben wurde und in dem die Hoffnung die Augen längst verlassen hatte, um nur eine verdorrte Wüste zurückzulassen; dort trocknete schändliches Unglück die Kehlen bis zur Verzweiflung aus.

    Der Eindruck, der Marikani überkommen hatte, war fürchterlich und erschütternd, und als sie in Vashnis Gesicht blickte, begriff Marikani, dass sie das Gleiche empfand. Doch dieses Entsetzen war irrational: Schließlich entsprach der Graben dem, den sie eben verlassen hatten. Nur die Ausdehnung war anders.
    Aber manchmal war die Ausdehnung alles, was zählte.
    Jetzt war es nicht mehr möglich, die Befehle der Vorarbeiter, die Schreie der Kinder oder das Zetern der Frauen auseinanderzuhalten, die Gerüche wahrzunehmen oder das Ballett der Umrisse dort unten zu sehen. Nein, keinerlei Individualität blieb im Chaos der sich bewegenden Farben hundert Meter unter ihren Füßen übrig, und der Lärm des Bergwerks, das stoßweise Atmen, die Befehle, das Gebrüll, das Wimmern, die Erdrutsche, das Weinen, das Knirschen des Steins und der Karren und das Zischen der Peitschenhiebe bildeten einen einzigen Laut - einen gewaltigen Schmerzensschrei, den der Mund des Steins wie ein fürchterliches Geheul ausstieß.
    Vashni rührte sich noch immer nicht. Marikani drehte sich um und sah in den Augen des Hohepriesters nur unendliche Traurigkeit. Und dennoch hat er die Unter stützung der Götter , dachte sie bitter. Er glaubte an die Gerechtigkeit des Schicksals, die Legitimität des Laufs der Lebensfäden, die von göttlichen Händen verwoben wurden, er war überzeugt, dass die Sterne die Verdammnis des Türkisvolks zu ewiger Sklaverei symbolisierten … Der Gedanke musste ihn trösten.
    Die braunen Augen des Priesters waren auf den Graben gerichtet.
    Ja, ihn trösten.
    Nicht wahr?

    Sie begannen schweigend, eine Treppe hinabzusteigen, die in den Felsen gehauen an der Wand entlangführte. Die Stufen waren weniger als zwei Schritte breit, und auch hier schützte kein Geländer sie vor dem Abgrund. Doch dies war die »luxuriöse« Treppe, die Besucher, Aufseher und Soldaten benutzten. Die Sklaven mussten auf dem Karrenweg hinaufsteigen, einer langen, engen Steinrampe, die an der Wand klebte, von Stollen zu Stollen führte und immer gefährlicher wurde, bis sie den Haupttunnel erreichte.
    Sie tauchten in das Wimmern ein wie in eine Nebelbank. Die Hitze der Feuer stieg in die Luft, begleitet von beißendem Rauch. Marikani war schon längst über das Stadium des Unwohlseins hinaus; sie wusste, dass dieser Besuch ihr noch nächtelang Albträume bescheren würde - noch schlimmer, dass diese Albträume nicht enden würden, wenn sie aufwachte und mit offenen Augen die Decke betrachtete. Ihr Albtraum würde so zur Folter werden, einer ganz persönlichen Folter, gegen die sie kein Mittel finden würde, und …
    Vashni war verschwunden.
    Die Situation blieb einige Herzschläge lang unwirklich … einige Augenblicke, in denen Marikanis Verstand nach einer »harmlosen« Erklärung suchte. Vashni war einige Schritte zurückgeblieben … oder vorausgelaufen … Sie konnte nicht weit sein. Aber selbst, als sie sich umdrehte und nach ihrer Freundin auf der Treppe Ausschau hielt, wusste Marikani schon, dass das unmöglich war. Wie konnte man sich auf solchen Stufen aus den Augen verlieren? Wenn Vashni verschwunden war, dann hieß das …
    Die Zeit schien sich zu verlangsamen, während Marikani dem Blick des Hohepriesters begegnete, dem noch
nichts aufgefallen war, dann der besorgten Miene des Verwalters, der einen Moment nach ihr Vashnis Verschwinden bemerkt hatte. Marikani sah einen Schimmer von Begreifen und Entsetzen in den Augen des Mas’tir Lhi …
    … und machte einen Satz nach vorn.
    Sie wusste nur eines: dass sie nicht hier stehen bleiben durfte. Sie eilte die Stufen hinunter, immer schneller, während ihr Verstand die Situation so rasch wie möglich analysierte. Sie waren zu fünft, es gab tausendfünfhundert Sklaven. Dies war die perfekte Gelegenheit für einen Angriff … Aber Marikani war hergekommen, ohne jemanden vorzuwarnen; die Rebellen - wenn es denn welche gab - hatten nicht die Zeit gehabt, sich zu

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