Pakt der Könige
verteilt.«
Marikani beugte sich ihrerseits vor, aber sie waren zu weit entfernt, als dass man die Kessel hätte erkennen können. Sie sah nur schemenhafte Gruppen wie in einem vorbestimmten Ballett aneinander vorbeiziehen, in einem
Tanz, der noch disziplinierter als der »Tanz der Raubkatzen« war: Mannschaften, die aus Stollen hervorkamen oder in sie zurückkehrten, andere, die beladen die Wände auf kaum sichtbaren Rampen hinaufstiegen, die ohne Absicherung in den Stein gehauen waren, so dass sie bei jedem Schritt Gefahr liefen, zu stürzen und auf dem Boden tief unten zerschmettert zu werden. Und an einer Seite der Höhle machten sich undeutliche Silhouetten vor kleinen Grotten zu schaffen … Schlaf- oder Ruheräume?
»Ja, die Nahrung wird pro Graben zugeteilt …«
Feris zitterte mittlerweile am ganzen Leib, und weder Vashni noch Marikani brauchten das Urteil eines Seelenlesers, um zu durchschauen, dass er etwas verheimlichte. Nicht, dass er log, oh nein - er hätte unter dem Blick Um-Akrs nicht gelogen. Aber er sagte nicht die ganze Wahrheit.
»Und die ›Vergoldeten‹?«, fragte der Hohepriester mit matter Stimme. »Wie werden sie ernährt? Haben sie auch eine eigene Küche?«
»Nein«, sagte der Mann mit kaum hörbarer Stimme. »Nein.«
»Wie gelangt ihr Essen dann zu ihnen?«
»Die Mannschaft aus dem Hauptgraben bringt es ihnen.«
Das war nur ein Flüstern. Der Hohepriester seufzte und wandte den Blick ab. »Der Gott beobachtet Euch«, sagte er nach einer kleinen Weile. »Gibt es noch andere Verbindungen zwischen den Sklaven? Mittel, um zwischen den einzelnen Gräben zu kommunizieren? Ich erwarte die Wahrheit.«
Er hatte keine Drohung ausgesprochen - das musste er auch nicht. Eine Lüge vor dem Göttlichen wäre schlimmer
als Blasphemie gewesen. Sie hätte das Todesurteil für die Seele bedeutet, die Verdammung zu einer Ewigkeit unvorstellbarer Qualen. Ein Mann wie Feris war gar nicht dazu in der Lage, einen Gott zu belügen. Er wäre sogar unfähig gewesen, sich das überhaupt vorzustellen, wie Marikani mit schwerem Herzen dachte.
»Na ja … Es gibt … Nun, es ist so, dass die Mannschaften manchmal anderen Gräben zugeordnet werden.«
»Manchmal. Ich verstehe. Was noch?«
»Die Paarungen … Nun, gelegentlich werden Frauen von einem Graben in den anderen verlegt, um den besten Bergarbeitern zur Verfügung gestellt zu werden. Und es kommt vor … Es kommt vor, dass Kinder in den tiefer gelegenen Stollen frei umherstreifen.«
Der Hohepriester nickte langsam. »Also verbreiten sich Gerüchte, Konflikte und andere Informationen blitzschnell von einem Graben in den anderen … tagtäglich. Das sagt Ihr mir doch, oder?«
Feris schwieg.
»Lasst uns den Hauptgraben in Augenschein nehmen«, sagte der Hohepriester.
Sie überschritten die Brücke, während unter ihnen die Rufe und Befehle der Vorarbeiter ertönten, daneben auch die an unsichtbare Kinder gerichteten Ermahnungen der Frauen, das Greinen der Säuglinge und dumpfes Dröhnen, das von Arbeiten unter der Erde und Einstürzen in fernen Tunneln sprach. Auch Gerüche stiegen in Wellen bis hierherauf, Gerüche nach Menschen, Loosa, Feuer, Mehl und verwesendem Fleisch.
Dann gelangten sie wieder in die relative Sicherheit eines weiteren Tunnels, der von brennenden Fackeln erhellt wurde, die in Felsnischen befestigt waren. Der Gang war
lauwarm, geradezu beruhigend, und Marikani fragte sich einen kurzen Moment lang, ob die Kinder ihn wohl mochten. Die Sklavenkinder, die, wie Feris gesagt hatte, von Graben zu Graben liefen, bevor Arbeit und Hass sie von innen aufzehrten … Fanden sie die Mine tröstlich, warm? Wie einen zweiten Mutterleib, dem man sie zu früh entriss?
Der Tunnel ging weiter, kreuzte Stollen, die alle in völlige Dunkelheit führten; wie Feris erklärte, waren sie aufgegeben worden, nachdem man sie zur Gänze ausgebeutet hatte. Nur ein einziger wurde noch genutzt: Als sie daran vorbeikamen, sahen sie keine Menschenseele, aber sie hörten dumpfe Schläge und abgehackte Schreie, wie Laute, die aus dem Leib eines gewaltigen Tieres hervordrangen.
Der Tunnel machte eine Biegung. Vashni blieb abrupt stehen.
Sie hatte nicht aufgeschrien, aber jede andere Hofdame an ihrer Stelle hätte das sicher getan.
Der Tunnel endete ganz einfach, um sich auf den Hauptgraben zu öffnen.
Und Marikani, die weder an die Götter noch an göttliche Strafen glaubte, hatte plötzlich eine Vision der Abgründe.
Die Abgründe … die Höllen, die
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