Pakt der Könige
oder flüchteten schreiend, trampelten die Schwachen oder Angeketteten nieder. Ihre Verfolger waren verschwunden oder von der Menge verschlungen worden.
»Hier entlang!«, rief die Stimme. Vashnis Stimme. Und nun sah Marikani sie über sich auf der Karrenrampe stehen, umgeben von Soldaten, die in den Graben hinabschossen und kaltblütig all diejenigen töteten, die Marikani umgaben - erschrockene Männer, flüchtende Bergleute, verzweifelte
Jungen, die zur Musterung an die Mauer gekettet waren und ohne Hoffnung an ihren Fesseln zerrten, als sie ihre Gefährten einen nach dem anderen von Stahlbolzen durchbohrt fallen sahen.
Da waren noch mehr Soldaten … Sie waren überall, wie Marikani begriff. Auf der Brücke dort oben, in den Stollen, von wo aus sie mit Bögen und Armbrüsten schossen und den Graben in einen Strudel aus schreiendem Menschenfleisch verwandelten. Woher kamen sie?
»Hierher!«
Marikani rannte bis zu Vashni, die sich zu ihr herunterbeugte und ihr half, sich auf den ersten Absatz der Rampe hinaufzuziehen.
»Hört auf!«, schrie Marikani den Soldaten zu. »Hört auf zu schießen!«
Ihr Befehl ging im Lärm unter, und Marikani musste noch einmal schreien - diesmal hysterisch -, bevor die Männer sie hörten. Es starben noch etwa fünfzig Sklaven in dem Durcheinander, bis es dem Kommandanten der Wachmannschaft gelang, den Männern, die auf den Brücken postiert waren, den Befehl durch Zeichen zu verdeutlichen.
Endlich hörte der Regen aus Pfeilen und Bolzen auf, und es kehrte relative Ruhe ein, die nur durch die Schmerzensschreie und das Weinen der Verwundeten am Boden des Grabens durchbrochen wurde.
Marikani lehnte sich mit pochendem Herzen an die Wand. Sie musste wieder Luft bekommen, zu sich kommen, einen Moment lang die Augen schließen. Als sie sie wieder öffnete, sah sie Vashni mit verstörtem Gesicht vor sich stehen.
»Ayashinata«, murmelte Vashni - und zog sie in einer
überraschenden Geste plötzlich an sich. »Sie haben mich gefangen … Sie haben mich in die Stollen gezerrt«, sagte sie, nachdem sie Marikani wieder losgelassen hatte. Marikani nickte. »Feris hat die Wachen rufen lassen, und sie haben begonnen, in die Stollen auszuschwärmen. Sie haben mich freigelassen … Von dem, was dann passiert ist, weiß ich nicht viel.«
»Sie sind tot«, sagte Feris mit schriller Stimme. »Sie sind tot! Das war keine Verschwörung! Nur Rebellen! Nur Rebellen! Keine Verschwörung! Sagt dem König … sagt ihm …«
»Harrakin?«, fragte Marikani erstaunt.
»Die Soldaten sind ihm vorausgeeilt - er kommt hierher. Ich flehe Euch an, sagt ihm, dass es keine Verschwörung war … ein isolierter Vorfall«, beteuerte er, während die drei Mas’tir sich mit beinahe schon totenbleichen Gesichtern um ihn drängten. »Bei Arrethas, Hohepriester, seid barmherzig. Ich flehe Euch an …«
Marikani drehte sich um und sah das blasse Gesicht des Hohepriesters, der auf sie zutrat.
»Ayashinata«, sagte er mit matter Stimme. »Wir freuen uns, Euch lebendig wiederzusehen. Wir sind so glücklich.« Dann holte er tief Atem und wandte sich Feris zu. »Die Mine ist ein Unruheherd«, sagte er freudlos. »Die Götter haben es mit meinem Blick gesehen, sie haben ihr Urteil durch meinen Blick gefällt und -«
»Nein!«, schrie Marikani, bevor er die schicksalhaften Worte aussprechen konnte. Sie spürte, dass ihr Blut über die Hüfte strömte; sicher hatte sie sich verletzt, als sie auf den Gesteinshaufen gestürzt war. »Nein.«
Mit einem Blick ließ sie Feris und die drei Mas’tir zurückweichen, die einige zögernde Schritte zum Rand
des Absatzes machten, und wandte sich dem Hohepriester zu.
»Nein«, wiederholte sie mit gesenkter Stimme; der Schmerz, den sie in seinen Augen las, machte ihr Mut. »Nein. Ich bitte Euch. Glaubt Ihr nicht, dass sie schon genug gestraft sind? Dort unten liegen mindestens hundert Leichen, ohne die zu zählen, die in der Panik niedergetrampelt wurden. Wir wussten beide, schon bevor wir hergekommen sind, wie die Situation aussah«, fügte sie so leise hinzu, dass es nur noch ein Flüstern war. »Dieser … Vorfall ändert nichts. Wollt Ihr nicht verhindern, dass es noch mehr Tote gibt? Sind sie nicht wirklich schon genug gestraft? Hier zu leben …«
Hatte sie seine Gedanken richtig gelesen? Loniros wollte nur die Schließung der Mine verhindern. Feris wollte seinen Posten behalten. Banh und die anderen wollten die Einkünfte sichern, die die Ausbeutung des Bergwerks der Krone
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