Pakt der Könige
nächtliche Brise aufstieg, erinnerte an den Tee der Berebeï. Ein ruhiger, lichtdurchfluteter Abend.
Ich habe Angst zu sterben , begriff Marikani plötzlich.
Was für ein seltsamer Gedanke. Marikani hatte seit ihrer frühesten Kindheit inmitten von Tod und Gefahr gelebt. Sie war von Seuchen verschont geblieben, die alle um sie herum getötet hatten. Der Hof war eine Schlangengrube, Gift und Meuchelmorde waren ebenso verbreitet wie Liebesbriefe - und gingen manchmal mit ihnen einher. Als sie einem Hinterhalt ihres Erzfeindes, des Emirs, entgangen war, war sie durch die Königreiche verfolgt worden und nur durch Glück und mithilfe von … mithilfe von Freunden entkommen.
Sie hatte nie Angst gehabt zu sterben. Nun, manchmal natürlich aus dem Moment heraus, aber sie hatte ein heiteres Naturell - eines wie Efeu, sagte Azarîn, da Efeublätter auch im härtesten Winter grün blieben -, und jeden Morgen
waren ihre Hoffnung und ihre Lebensfreude zurückgekehrt.
Jetzt nicht mehr.
Etwas war zerbrochen. Etwas ging nicht mehr. »Ihr steckte eine Schlange im Hals«, wie es der schlechte Tragödiendichter formuliert hatte, der sein Stück vor zwei Wochen am Hof von Harabec aufgeführt hatte. Es war eine komplizierte, geschmacklose Geschichte gewesen, in der sich drei Heldinnen aus Liebe umgebracht hatten. Die Abschiedsrede, die die Prinzessin mit gezogenem Dolch in getragenen Versen gehalten hatte, war so lang gewesen, dass Vashni am Ende geschrien hatte: »Nun schneid dir doch endlich die Kehle durch, damit wir hier fertig werden!« Das hatte die Höflinge erheitert und den armen Dichter in Verzweiflung gestürzt.
Mir steckt eine Schlange im Hals …
Ein Knacken hinter ihr. Aus ihren Gedanken gerissen, zuckte Marikani zusammen, bevor ihr aufging, dass es nur das Feuer gewesen war. Sie ließ den Blick über das Lager schweifen, aber es gab nichts zu sehen, nur den Widerschein der Flammen und den Offizier, der sie seltsam musterte.
Die junge Königin wandte sich ab und trat in ihr Zelt, in dem man Teppiche und kostbares Bettzeug aus Leinen ausgebreitet hatte. Eine Sklavin entzündete die Kerzen, bevor sie sich gebückt, fast auf Knien, zurückzog, ohne Marikanis Blick zu begegnen. Marikani spürte, wie ihr Unbehagen wuchs, und streckte sich auf ihren Kissen aus. Trotz des schützenden Zelts spürte sie, wie sich Kälte in ihr breitmachte. Sie war nahe daran, einzuschlafen, als die Stoffbahn angehoben wurde. In den Schatten bemerkte sie kaum sichtbar die Umrisse des Offiziers, der
ein hohes Glas mit feinen Vergoldungen und eine silberne Teekanne trug.
»Dies schickt Ehari Vashni«, sagte der Mann und stellte die Teekanne auf den Teppich. »Sie macht sich Sorgen, dass Euch kalt sein könnte.«
Marikani dankte ihm mit einem Nicken, und der Soldat verschwand. Es sah Vashni ähnlich, schamlos einen Armeeoffizier aufzufordern, solch eine niedere Aufgabe zu verrichten. Der Offizier ärgerte sich sicher darüber, und in der Armee würde das Gerücht umlaufen, dass die Adligen keinen Respekt vor der Tätigkeit der Soldaten hatten. Aber das würde Vashni natürlich nicht weiter kümmern …
Doch in der eisigen Nacht war das heiße Getränk hochwillkommen. Marikani setzte sich auf, wickelte sich in eine Decke und goss sich ein Glas aromatisierten, gezuckerten Tees ein. Er schmeckte leicht bitter. In solchen Momenten war es schwer, Königin zu sein. Die anderen Frauen drängen sich, adlig oder nicht, alle in einem Zelt, geschützt vor Kälte und Einsamkeit, dachte sie, während sie an dem dickflüssigen Getränk nippte. Der Karawane gehörten nur wenige Männer an. Die meisten würden erst mit Harrakin zu ihnen stoßen, und eine Delegation aus Geistlichen und Theologen, darunter der Hohepriester von Harabec, würde in einigen Tagen ebenfalls nach Salmyra aufbrechen.
Ja, außer den Soldaten waren fast nur Frauen im Lager …
Trotz der Wärme des Getränks begann Marikani zu zittern; sie goss sich noch ein Glas ein und versuchte, vernünftig zu sein. Die Soldaten gehörten zur Elite der Armee von Harabec, sie hatte nichts zu befürchten. Sie hätte auch diese Botschaft nicht abschicken sollen … Das war töricht gewesen. Sie trank ein drittes Glas, so stark zitterte sie mittlerweile. Nein, sie hätte die Botschaft nicht abschicken
dürfen. Hatte sie es vielleicht nur getan, weil sie Harrakin an ihrer Seite wissen und die Wärme seines Körpers spüren wollte, wo es doch so kalt war? Sie stellte die Teekanne ab, sank auf ihr
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