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Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte

Titel: Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Gesicht. Dann lächelte er geheimnisvoll. »Wir denken, es wird Zeit, Ihr einige Erklärungen zu geben. Bringe Sie das Geschirr in die Küche, dann wollen wir reden.«
    Mit klammen Gliedern schob Pala den Stuhl nach hinten, griff sich die Servierplatte mit dem Nörgelskelett, stapelte das übrige Essgeschirr obenauf und balancierte das wacklige Gebilde in Richtung Küche. Als sie die Pendeltür erreichte, geriet der Turm aus dem Gleichgewicht. Scheppernd fiel das Silber samt Speiseresten zu Boden. Nur die Platte verblieb in ihrer Hand, mit der Unterseite nach oben. Verwundert las Pala die Zeilen des Gedichts, die in den Boden des Tabletts eingraviert waren.
     
    Die Klugen selbst in Not seh’n Hoffnungszeichen.
    Den Waffenstillstand nehmen sie zum Grunde,
    zu reden Engelsworte mit dem Munde,
    um selbst die harten Herzen zu erweichen.
     
    Vor klarer Rede darf man nicht erbleichen,
    denn die von Zorneswort gerissne Wunde,
    die blutet lang, und Hass macht neu die Runde,
    wo sollten Freunde sich die Hände reichen.
     
    In seiner Wesensart sich umzuwandeln,
    kann nur, wer macht in Demut sich zum Knappen
    und ist entschlossen, liebevoll zu handeln.
     
    Die »Rachel« schrein, die sollt’ man tunlichst schnappen,
    anstatt mit ihnen sorglos anzubandeln,
    besiegen mutig feige Jammerlappen.
     
    »Nummer dreizehn!«, flüsterte sie. Im nächsten Moment riss ihr jemand das Tablett aus der Hand.
    »Was glotzt du die Platte an, anstatt die Knochen vom Boden zu klauben?«, fuhr sie die Küchen-Schabe an. Aus dem Hintergrund ertönte fröhliches Gelächter.
    Pala blinzelte den schäbigen Koch benommen an, als sei sie gerade aus einem bösen Traum erwacht, der nur Bestandteil eines anderen Albtraums war.
    »Lass Er sie in Frieden«, rief Zitto von der Tafel her, noch ehe das Spießrutenlaufen richtig begonnen hatte.
    Unwirsch ließ die Chef-Schabe von dem Mädchen ab. Mit barschen Gesten rief sie andere Jamben herbei, die sich maulend an die Aufräumarbeiten machten. Die Tür wurde geschlossen.
    Pala kehrte zum Tisch zurück. Das Servierplattengedicht war gerade zur rechten Zeit gekommen. Es flößte ihr neuen Mut ein. Giuseppe stand mit einem Heer von Wortklaubern vor der Tür. Noch war nichts verloren.
    Zitto lehnte satt in seinem Thron. Als Pala wieder zu seiner Linken saß, sagte er: »Es lüstet Sie nach Wahrheiten, ist es nicht so?«
    »Ihr habt mir Antworten versprochen, Zitto. Warum besitze ausgerechnet ich ein Geburtsgedicht, das aus Eurer Feder stammt? Was habe ich mit Euren Plänen zu schaffen?«
    Zitto lächelte großmütig. »Die meisten Fragen, die Sie bewegen, hat Sie sich längst selbst beantwortet, sonst wäre Sie nicht so weit gekommen.«
    »Wovon redet Ihr überhaupt?«
    »Ist Sie etwa nicht auf der Suche nach sich selbst?«
    Pala starrte Zitto entgeistert an. Es kam ihr mit einem Mal so vor, als könnten seine blauen Gletschereisaugen bis auf den Grund ihrer Seele blicken. »Woher… Ich meine… Bis jetzt habe ich mir diese Frage so noch nie gestellt.«
    »Und dennoch hat Sie durch die Lösung der sieben Rätsel Ihr Ziel fast erreicht.«
    Pala blinzelte verwirrt, suchte lange nach Worten, bis sie endlich die passenden gefunden zu haben glaubte. »Kennt Ihr meine Eltern?«
    »Ihre leiblichen Eltern, meint Sie?« Zitto nickte gedankenvoll. »Eine interessante Frage, auf die zu antworten gar nicht so leicht ist. Ein Ja wäre ebenso ungenau wie ein Nein.«
    Pala schlug mit den Handflächen auf den Tisch. »Ihr bringt mich noch zur Weißglut! Könnt Ihr nicht einfach sagen, wer meine wirklichen Eltern sind?«
    »Ruhig Blut, kleines Mädchen. Der Zeitpunkt ist nun gekommen, Sie ein wenig näher an die Antwort heranzuführen. Hat Sie je das Sprichwort gehört: ›Reden ist Silber, Schweigen ist Gold‹?«
    Pala nickte ahnungsvoll. Zittos verschlagenes Grinsen gefiel ihr nicht.
    »Zu allen Zeiten«, sagte der, »hat es die Menschen mehr zum Gold hingezogen als zum Silber. Selbst Wir, das müssen Wir wohl eingestehen, sind dieser Schwäche einst erlegen… «
    »Und deshalb wollt Ihr das ›Gold‹ Silencias, sein Schweigen«, hauchte Pala.
    Zitto lachte. »Silencia ist überall! Nun, nicht jeder Ort ist so verschlafen, aber im Grunde sind die Menschen auf der ganzen Welt gleich. Abgesehen von einer klitzekleinen Winzigkeit.« Die Augen des Schlossherrn wurden zu schmalen Schlitzen und seine Stimme zu einem giftigen Zischen. »Hier haben sie Uns verhöhnt und von hier fortgejagt. Und deshalb werden Wir hier auch

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