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Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte

Titel: Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Bratnörgel der Länge nach hinschlagen. Doch von zu Hause war sie Küchenarbeit gewohnt und meisterte die Herausforderung glänzend. Mit dem Fuß stieß sie eine Pendeltür auf und betrat einmal mehr an diesem Abend die Esshalle.
    Der riesige Raum befand sich im obersten Stockwerk eines jener Gebäude, durch deren bunte Glasfenster die Lichter Silencias schimmerten und durch die noch dazu, sich langsam steigernd, ein unerklärliches Gelärme drang. Unter der Decke hingen an schwarzen Ketten ein großer leerer Eisenkäfig sowie drei Kronleuchter, stattlichen Wagenrädern gleich, auf deren Felgen Kerzen flackerten und für ein launisches Zwielicht sorgten. Die Wände schmückten golddurchwirkte, bunte Banner mit allerlei Schriftzeichen. Im Übrigen war der Raum auffallend kahl, obschon die bisweilen recht farbigen Buchdeckel und -rücken der Saaldecke, dem Boden und den Wänden durchaus eine gewisse Fröhlichkeit verliehen. Das beherrschende Element des Saales bildete eine lange Tafel. Mehrere Jamben mit blau-goldenen Bauchbinden standen in gebührendem Abstand diesseits und jenseits des Tisches, bewegungslos wie Ritterrüstungen, allzeit bereit für Handreichungen jeglicher Art. Eine größere Anzahl hoher Lehnstühle reihte sich unbesetzt um die schwarzbraune Tafel. An deren Kopfende saß, gedankenvoll in den Text eines neben ihm liegenden Pergaments vertieft, Zitto.
    Während Pala die nicht unerhebliche Entfernung zwischen Tür und Schlossherrn überwand, bewegten sie tief schürfende Fragen: Wie kann ein Mann aus Fleisch und Blut sich von Phantasiegeschöpfen ernähren? Ist dieses Fressgelage womöglich nur eine Täuschung? Wie sonst vermag er solche Unmengen zu verdrücken?
    »Ah!«, machte Zitto, als ihn der Duft des nahenden Bratens aus der Versenkung riss. »Der Höhepunkt des Diners: das Spannörgel.«
    »Ihr solltet Euch schämen, diese klugen Geschöpfe einfach aufzuessen.«
    Zitto stieß einen gackernden Laut aus. »Nörgels? Klug? Diese kleinen Affchen können doch nichts als mäkeln. Hat Sie je eines kennen gelernt?«
    »Ich kenne Nuschels, und die sind sehr liebenswerte Wesen. Schon erstaunlich, wie ein Kotzbrocken Euresgleichen solche putzigen Geschöpfe hervorbringen konnte.«
    »Was hat Sie da gesagt?«
    »Ich leide noch an den Spätfolgen meiner Boboros-Durchquerung.«
    »Ach so, na dann wollen Wir ein Auge zudrücken. Schon beachtlich, welche Prüfungen Sie da gemeistert hat! Komme Sie und setze sich zu Uns, damit wir ein wenig plaudern können.«
    »Es gibt noch zwei Nachspeisen: süße Rüben und danach Schwätzerkäse. Ich will mir nicht vorwerfen lassen, meinen Teil der Abmachung gebrochen zu haben.«
    »Also gut«, willigte Zitto mürrisch ein und wedelte ungeduldig mit der Hand, »den Käse kann der Koch behalten, aber bringe Sie uns geschwind das Dessert. Und dann nehme Sie endlich Platz.« Schon wanderte sein Blick wieder zu dem Blatt mit dem abgegriffenen Rand hin, das oberhalb seines Tellers lag. Es musste sich um das Gedicht vom Schreibtisch handeln, dem Zitto so liebevoll verhaftet war.
    Pala verließ eilig den Saal. Erst jetzt bemerkte sie das Schild über der Tür, die ins dampfende Reich der Töpfe und Pfannen führte.
     
    Gerüchteküche
     
    Während sie noch darüber nachdachte, ob der Schriftzug nun ein Schreibfehler, ein bissiger Scherz oder ein tiefsinniger Hinweis war, überschüttete sie die Chef-Schabe mit einer neuerlichen Standpauke. Im Wesentlichen ging es dabei um den durcheinander geratenen Zeitplan; Pala hörte kaum zu. Dieweil der beschürzte Jambus das Dessert in eine große Silberschüssel füllte und eine klare, schnell erstarrende Flüssigkeit darüber schüttete, drang wieder das ferne Lärmen an Palas Ohr. Es klang wie der Laut vieler aufgeregter Stimmen. Vielleicht ließ man in Silencia gerade den neuen Stadtvater hochleben.
    »So«, freute sich die Chef-Schabe. »Und nun das i-Tüpfelchen meiner auserlesenen Speisenfolge: Munkelrübchen, einhundert Jahre in Rum gereift und mit einer zartbitteren Glasur aus Krokodilstränen überzogen. Was für ein Gaumenkitzel!«
    Pala griff sich die Schüssel und lief zur Tür.
    »Wenn du stolperst, zwicke ich dir den Hals durch«, rief die Chef-Schabe ihr nach. »Und komme gleich zurück. Ich richte derweil die Platte mit dem Schwätzerkäse her.«
    »Den Käse kannst du behalten«, erwiderte Pala, ohne sich noch einmal umzudrehen. Beladen mit den glasierten Munkelrübchen kehrte sie in den Speisesaal zurück. Zitto hatte

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