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Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte

Titel: Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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das Wechselspiel im Gebaren des Schlossherrn mit zunehmender Sorge. Wo Nonno Gaspare in all seiner Wandlungsfähigkeit stets der Erzähler geblieben war, veränderte Zitto scheinbar ständig sein ganzes Wesen. Jetzt wurde er wieder ruhig, seine Linke lag bewegungslos auf dem Pergament, die Rechte hob sich, Zeigefinger voran, in die Höhe und seine Stimme klang unheilschwanger.
    »Noch besaß Romeo ja das Vertrauen dieses neuen Sterns am Dichterhimmel und konnte gegen ihn hübsche Ränke schmieden. Die passende Gelegenheit ließ auch nicht lange auf sich warten. Der Dichterknappe stürzte eines Morgens ungestüm in das Arbeitszimmer seines Meisters, in der Hand sein allerneuestes Manuskript.« Zitto seufzte. »Es war wunderbar. Göttlich! Aber Romeo machte ihm den Text madig – «, nun kicherte er wie irre, »weil er ihn für sich selbst verwenden wollte. Es handelte sich um ein Theaterstück. Der Plan gelang. Nach der Uraufführung war Romeo wieder der größte aller Dichter, hatte sich zurückgeholt, was ihm gehörte – aber nur für eine Nacht.«
    Pala konnte sich den Rest schon denken. »Der Schwindel ist aufgeflogen.«
    Zitto nickte grimmig. »Alsbald hat der Landesfürst den Grafen Romeo all seiner Privilegien beraubt und ihn von seiner Burg gejagt. Es war die Feste von Silencia. Während die Zitadelle allmählich verfiel, folgte eine Generation auf die nächste. Romeos Söhne, Enkel und Urenkel besaßen die gleiche Begabung wie er, aber sie kämpften sich mehr schlecht als recht durchs Leben. Nicht wenige übrigens wurden Geschichtenerzähler und begnügten sich mit einem Abglanz von Romeos einstigem Ruhm. Sogar dadurch erlangten manche noch Reichtum und wurden angesehene Wohltäter der Stadt.«
    »Sie bauten Universitäten, Schulen, Krankenhäuser…« In Palas Kopf entstand ein neuer Gedanke, mit dem sie noch nicht recht umzugehen wusste.
    »Und Friedhöfe«, fügte Zitto ihrer Aufzählung hinzu.
    »Was wurde aus Romeo?«
    »Sein Motto lautete schon immer: alles oder nichts. Er wollte sich nie und nimmer geschlagen geben. Noch einmal nahm er all seine Kraft zusammen und schmiedete, gleichsam aus seinem Herzen, Worte, wie man sie niemals zuvor gehört hatte. Es war ein einzigartiger Zyklus aus vierzehn Sonetten, deren Glanzstück ein fünfzehntes bildete: das Meister-Sonett. Unter den edlen aller Gedichte war dieser Reigen die Königin, wunderschön, voller Anmut und Grazie, von einer beispiellosen Harmonie erfüllt, deren Zauber unweigerlich verblasst, sobald man auch nur eine Silbe, ja, einen einzigen Buchstaben zu verändern sucht. Nicht von ungefähr nannte Romeo sein Werk Gewogene Worte. Diese wollte er den Menschen zum Geschenk machen – zugegeben, auch um die Wiederherstellung seines Ruhms ging es ihm. Aber so vollkommen die Schönheit seiner Gewogenen Worte auch war, niemand wollte auch nur eine Zeile davon lesen, geschweige denn drucken.«
    »Weil die Lüge die Menschen erschreckt hatte.«
    Zittos schmachtender Blick wanderte einmal mehr zu dem Blatt auf dem Tisch hin. »Schon die eine Lüge war zu viel«, gab er leise zu.
    Pala betrachtete nachdenklich das Pergament, dessen Zeilen sie von ihrem Platz aus nicht lesen konnte. Es musste das Meister-Sonett sein. In ihm schlug Romeos Herz, das ihm, wie er zuvor angedeutet hatte, auf irgendeine Weise abhanden gekommen war. Doch warum stellte es die Krönung des ganzen Reigens dar? Pala hätte sich ohrfeigen können, Giuseppe nicht gründlicher zum Wesen des Sonettenkranzes ausgefragt zu haben.
    Zitto verwandelte sich gerade in einen Feuer speienden Drachen und fauchte: »Was hierauf folgte, hatten sich Romeos Gegner ganz allein selbst zuzuschreiben. Als er aus seiner Burg floh, nahm er ein Buch mit, das erst kurz vorher bei Erweiterungsarbeiten hinter einer Mauer entdeckt worden war. Das Werk hieß Die Macht der Worte… «
    »Das geheime Wissen des Unaussprechlichen!«, keuchte Pala, sich noch lebhaft an Giuseppes Erzählung erinnernd. »Worte bedeuten Macht«, hatte er gesagt und damit, wohl ohne es zu wissen, den Titel des unseligen Buches umschrieben. Ein Schauer jagte ihr über den Rücken.
    In diesem Moment ertönte ein lautes Klirren. Glassplitter flogen in den Saal, ein Stein polterte über den Boden und blieb am entgegengesetzten Ende der Tafel liegen. Menschen wie Jamben blickten erschrocken zum Fenster hin, aus dem nun noch lauter der Krawall des im Burghof rebellierenden Wortklaubervolkes drang. Jemand da unten schien ein guter Steinewerfer

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