Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte
zu sein.
Ein Windstoß fegte durch die Halle und löschte den größten Teil der Kerzen aus. Das verbliebene Schummerlicht ließ Zittos Gesicht grau erscheinen, tief zerklüftet, unheimlich. Er nahm die Kriegserklärung seiner aufbegehrenden Schergen überraschend gelassen hin. Mit knapper Geste bedeutete er den Bauchbinden-Schaben für Ordnung zu sorgen. Während zwei von ihnen das Loch im Fenster mit Buchdeckeln notdürftig verschlossen, wandte er sich, geheimnisvoll lächelnd, wieder dem Mädchen zu.
»Wo waren Wir stehen geblieben? – Ach ja, der Unaussprechliche. Sie kennt also die alten Überlieferungen. Nun, dann weiß Sie ja auch, weshalb man es versteckt hatte: Weil es ein gefährliches Wissen enthielt und ein Fluch auf ihm lastete.«
»Ihr hättet es ins Feuer werfen sollen.«
»Und auf den süßen Rausch der Rache verzichten?
Nein!«, röhrte der Schlossherr und schien sich abermals zu verwandeln. »Nein! Romeo war der rechtmäßige König der Dichter, und die sind, wie das Sprichwort weiß, unsterblich. Deshalb hat er sich mit geheimen Künsten genommen, was ihm zustand…«
»Unsterblichkeit?«
»Eine jämmerliche Form des ewigen Lebens, wie Wir längst erfahren mussten. Aber nun stehen Wir unmittelbar vor unserem größten und allerglorreichsten Sieg. Die Macht der Worte hat uns dazu verholfen. Wir wollen gar nicht davon sprechen, was für ein verzwicktes Regelwerk das ist! Immerhin konnten Wir den Menschen damit Worte, Sätze und sogar ganze Geschichten abluchsen – so etwas gehört zu dem Schwierigsten überhaupt, eine echte Meisterleistung! Sie geben ihre Worte nämlich nur her, wenn diese ihnen nichts mehr sagen. Man muss ihnen schon einen Ersatz anbieten, den sie für begehrenswert halten. Dann allerdings sind sie sogar zu einem Pakt mit dem Teufel bereit.« Zitto grinste. »Wir haben es zwischenzeitlich in derlei Geschäftsverhandlungen zur Vollkommenheit gebracht. Es ist schon erstaunlich, wie viele Menschen bereit sind, ihre kostbarsten Schätze für wertlosen Plunder herauszurücken.«
Pala musste an die außergewöhnlichen Titel auf den »Mauersteinen« der Zitadelle denken. »Aber die vielen Bücher in dieser Burg – sie stammen doch von Menschen, die selbst Meister der Sprache waren. Wie konntet Ihr…?«
»Dichter!«, zischte Zitto, als wolle er Galle versprühen. »Sie sind Unsere erbittertsten Feinde. Einer von ihnen wollte Romeo in den Abgrund der Belanglosigkeit stoßen. Für die Sprachgewaltigen – die Dichter, Denker, Fabulierer – bleibt kein Wort ohne Bedeutung, sondern jedem geben sie im Gegenteil viele neue, wodurch man ihnen kaum eine Silbe entreißen kann. Aber mithilfe der Wortklauber gelang Uns auch dieses Kunststück hier und da. Es reichte immerhin für diese hübsche Burg.« Eine raumgreifende Geste, ein mageres Lächeln, dann folgte eine trübsinnige Miene. »Leider sind dadurch oft andere Geschichten entstanden, die noch besser als die ersten wurden.«
»Ihr verdankt eure fragwürdigen Künste einer Geheimfibel, na schön. Aber worin liegt die eigentliche Macht, die den Menschen ihre Worte nimmt?«
»Natürlich in den Worten selbst«, gab Zitto erstaunlich offenherzig zu und lachte. »Das Geheimnis liegt in dem Sonettenkranz.«
»In einem Gedicht? Wie soll das gehen?«
»Der Kranz besteht aus einem ganzen Reigen von Gedichten, kleines Mädchen, einer Krone mit vierzehn Zacken und einem glänzenden Juwel, dem Meister-Sonett.«
»Und damit kann man Worte klauen?«
»Wir bevorzugen den Begriff ›erwerben‹. Doch um auf Ihre Frage einzugehen: Nicht der Sonettenkranz an sich weckt irgendwelche Kräfte, sondern die Art und Weise, wie er ins Dasein kam. Die Macht der Worte ist in diesem Punkt sehr kleinlich. In dem Werk heißt es, nur jener könne ›die Macht der Worte entfalten, der seine ganze Seele in ein kunstvoll gewebtes Wortgespinst lege und dieses der Menschheit gebe, ohne es zu verschenken, und es am Ende doch unbemerkt zurück gewonnen.‹«
»Mir wird langsam klar, warum diese kotzbrockige Schwarte so ein – wie habt Ihr doch gleich gesagt? – verzwicktes Regelwerk ist.«
Zitto schnappte hörbar nach Luft. »Wir verdanken Unsere Macht keiner Schwarte, wie immer sie auch geartet sein mag.«
»Was beklagt Ihr Euch über meine Sprache! Ihr selbst habt ihn doch erschaffen, diesen stinkend modrigen…«
»Wortsumpf – ja, ja. Wie dem auch sei, das Geben ohne Schenken ist im Grunde ganz einfach zu verstehen: Es handelt sich um ein
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