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Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte

Titel: Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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murmelte pausenlos neue Spielarten des Gedichts von Zittos Schreibtisch, während sie zwischen dampfenden Kochtöpfen und brutzelnden Pfannen auf die nächste Schüssel oder Servierplatte wartete. Verführerische Gerüche stiegen ihr in die Nase, aber es war unerträglich schwül. Wenigstens hatte sie sich säubern und notdürftig ihr Kleid ausbessern dürfen, weil ihr ursprünglicher Anblick von den vielbeinigen Kochgehilfen als Anschlag auf des Schlossherrn Appetit aufgefasst worden war. In Küchen Schaben kochen zu lassen, schien ihn dagegen nicht zu stören.
    Nein, sie würde sich nicht unterkriegen lassen. Erst um Mitternacht sollte Zittos Wahl zum Stadtoberhaupt besiegelt werden. Wie spät es wohl war? Mehrere Male hatte sie leise das Geläut des Kampanile vernommen, aber im Klappern und Klirren der Küche die Schläge nicht zählen können.
    »Die Klugen selbst in Not seh’n Hoffnungszeichen, wenn Zaudernde in ihrer Furcht erschlaffen.« Auch diese Version gefiel ihr nicht schlecht.
    »Hör endlich mit dem Gebrabbel auf!«, fuhr sie ein fettbespritzter Jambus an. Er war in der Küche die Chef-Schabe. Von den anderen Jamben unterschied er sich durch eine hohe weiße Kochmütze und eine fleckige Schürze, anstelle von Mordwerkzeugen hingen solche zum Kochen an seinem Gurt. Er und die Servier-Schaben sahen in dem Mädchen eine Nebenbuhlerin und behandelten es dementsprechend feindselig. Ihre Reizbarkeit mochte durch die besonderen Umstände dieses Abends zusätzlich aufgeheizt worden sein. Sie mussten schuften wie noch nie in ihrem Leben. Diese Nacht sei einzigartig, hatte Zitto schon vor Tagen angekündigt, und deshalb müsse auch die Menüfolge alles bisher Dagewesene in den Schatten stellen.
    Im Gegensatz zu den Schaben, die ja von Natur aus nicht schwitzen konnten, lief Pala der Schweiß in Strömen über den Körper, wenn sie aus der Bruthitze der Küche mit dampfenden Schüsseln und Terrinen, Schalen und Tellern in die riesige Esshalle taumelte. Zitto begann sein Nachtmahl mit einer Fischsuppe. Die Grundlage hierfür bildeten Stichelinge, die er aus kleinen boshaften Bemerkungen erschuf. Die leicht bittere Würze stammte von einem Kraut mit dem bedeutungsvollen Namen Lästermäulchen. Von einem Fladenbrot brach der Schlossherr immer wieder Krumen ab und ließ sie in die sämige Flüssigkeit fallen, um sie hiernach voll gesogen herauszulöffeln. Er benahm sich gerade so, als müsse er sich mit dieser kargen Kost begnügen, dabei war die Suppe nur der Auftakt zu einem beispiellosen Einmanngelage.
    Herzen von Tauben, angerichtet auf einem Kräuterbett aus Lippenblüten, bildeten den zweiten Gang. Hiernach servierte Pala das Gehirn eines Brüllaffen, als Gefäß diente der Kopf desselben. Es folgten die im Ofen gebackenen Tatzen eines Brummbären. Zitto knabberte nur ein wenig daran herum, wohl weil es ihn bereits nach den Zungen gelüstete. Sie waren gekocht, rot und sahen aus, als hätten sie vor kurzem noch im Mund eines Menschen gesteckt. Beim Anblick des auf einer Silberplatte ausgelegten Zungenkreises drehte sich Pala fast der Magen um. Als Beilage gab es ein Püree aus Kichererbsen.
    Die Menüfolge sah als Nächstes Geflügel vor. Eigentlich hätte es Nimmersatt geben sollen, aber ein solcher war nicht aufzutreiben gewesen. Er habe als Ersatz Lachmöwe vorgeschlagen, gefüllt mit einem Mark aus Ohrenkneifern, erzählte der Koch seinem Gehilfen, aber Zitto war dieser alberne Vogel nicht würdevoll genug erschienen, nicht an diesem Abend. Man einigte sich schließlich auf einen Klapperstorch. Und nun wartete Pala auf das nächste ekelhafte Gericht.
    »Nimm endlich die Silberplatte mit dem Braten und trage sie Seiner Hoheit auf«, herrschte sie die Küchen-Schabe an.
    Argwöhnisch musterte Pala das braun gebratene Wesen auf dem großen ovalen Teller. »Was ist das?«
    »Spannörgel.«
    »Spann- was?«
    Ein gefährlicher Zirplaut entwich dem Zangenmaul des Kochs. »Du musst Seine Hoheit, den Meister, verhext haben. Wie sonst konnte er sich ein so dummes Kind zum Mundschenk erwählen?« Er deutete auf den Braten. »Das da ist kein Orgel und hat auch nichts mit Spannen zu tun. Es handelt sich um Seiner Hoheit Lieblingsspeise: junges, zartes Nörgel.«
    »Igitt!«
    »Kein Wort mehr! Trage endlich den Braten auf.«
    Mit spitzen Fingern nahm Pala die Silberplatte und bugsierte sie zwischen den Kochstellen hindurch zur Tür des Speisesaales. Mehrere Jamben sahen ihr dabei zu und hofften inständig, sie möge samt

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