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Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte

Titel: Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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unsere Genugtuung einfordern.« Unvermittelt entspannte sich Zittos Miene wieder und wich einem selbstgefälligen Lächeln. »Gleichwohl, Wir haben Unsere Vertreibung sinnvoll genutzt und unsere Rückkehr von langer Hand vorbereitet. Manch güldenes Kleinod haben Wir auf unserer Wanderschaft durch die Welt erworben. Unsere Zitadelle hier spricht davon – wie sagt man doch so schön? – Bände. Doch alle Kenntnis, aller Reichtum, alle Macht, die Wir Uns erwarben, gilt am Ende doch, wie Sie ganz richtig sagt, dem Gold Silencias, seinem Schweigen.«
    »Ihr seid wahnsinnig, Zitto! Irgendjemand muss Euch aufhalten.«
    Der Schlossherr kicherte leise in sich hinein. Das unablässige Kreischen und Toben der Wortklauber vor seinen Mauern schien ihn nicht im Mindesten zu stören. »Da mag Sie sogar Recht haben. Irrsinn und eine edle Gesinnung liegen oft dicht beieinander. Uns aufzuhalten wird allerdings kaum noch möglich sein.«
    Pala ließ ihren Blick auf den Grund des Trinkbechers sinken, als könne sie dort eine rettende Botschaft finden. Ihre Gedanken wirbelten durcheinander wie Herbstlaub im Sturm. Das unablässige Krakeelen unter den Fenstern machte sie ganz wirr. Und nun meldete sich auch noch der redselige »Untermieter« in ihrem Kopf zurück.
    Er hat »kaum noch möglich« gesagt, aber nicht »zu spät«, Pala. Der Kamerad führt etwas im Schilde, und zwar in Bälde.
    Wie benommen sah sie von ihrem Wasserbecher auf, mitten in Zittos zwielichtiges Schmunzeln. So viel war klar: Was immer er zu tun beabsichtigte, es würde in dieser Nacht geschehen. Deshalb fürchtete er den Ansturm der Wortklauber nicht. Was hatte er doch gleich im Turmgemach gesagt? Mit dem letzten Glockenschlag des Kampanile sei die Zukunft seiner neuen Untertanen besiegelt? Das bedeutete… Die spöttische Stimme in Palas Kopf kam ihr zuvor: Mutters Große hat heute wieder eine lange Leitung: Der Kerl wird sich Silencias Worte genau um Mitternacht schnappen, was den Namen der Stadt endgültig in einen Fluch verwandelt.
    »Wie spät ist es?«, fragte Pala. Ihre Stimme klang heiser. Mit zitternden Fingern hob sie den Wasserbecher an die Lippen.
    »Sehr spät«, sagte Zitto und lächelte siegesgewiss.
    »Schon nach Mitternacht?«
    »Das spielt keine Rolle, kleines Mädchen.«
    Hat der Uhrenturm schon zwölfmal geschlagen?, fragte die ungeduldige Stimme aus ihrem Innern. Pala konnte es nicht genau sagen. Vier hohe Glockenschläge und anschließend zwölf tiefe, das hätte ihr doch auffallen müssen. Sie musste jetzt schnell handeln und besonnen…
    »Ihr wart nicht von Anfang an so ein Kotz-… Verzeihung! Ich meinte, früher müsst Ihr ein Mensch gewesen sein, der die Worte sehr geliebt hat. Und irgendwie – davon bin ich fest überzeugt – tut Ihr es immer noch.« Aus Palas Stimme war jede Heftigkeit gewichen, eine Enkeltochter hätte zu ihrem störrischen Großvater kaum nachsichtiger sprechen können. Und ihre milden Worte zeigten Wirkung. Die Häme wich aus Zittos Gesicht und er sah mit einem Mal wie ein anderer Mensch aus, traurig und verletzlich.
    Sich auf die Brust tippend, sagte er mit überraschend sanfter Stimme: »Du hast Recht. Vor vielen Generationen war dieser Mann hier sogar der Beste seiner Zunft, bekannt als ›der große Romeo, der neue Worte redet‹. Seine hohe Kunst wurde weit über die Grenzen des Landes hinaus gerühmt und war allseits geliebt. Aber dann kam ein anderer, jüngerer, durchaus begabter, ja, angeblich sogar besserer Dichter. Er war Romeos eigener Schüler…« Zittos Kinn sank ihm auf die Brust und es sah aus, als wolle er jeden Moment zu weinen anfangen.
    Pala musste an die seltsame Ausdrucksweise Tozzos denken, der von sich selbst immer wie von einem anderen geredet hatte. Die Wortklauber waren Zittos Geschöpfe, der über sein früheres Ich nun ebenso wie über einen Fremden sprach. Welche furchtbaren Dinge musste dieser Mensch durchgemacht haben, um sich selbst so erbarmungslos zu verstoßen? Schon wollte Pala dem »großen Romeo, der neue Worte redet« mit einem eigenen kleinen Trostwort die Sprache zurückgeben, als dessen Kopf jäh hochfuhr.
    Zittos Gesicht war von Zorn gerötet, Adern quollen an seinen Schläfen. »Der Grünschnabel hat den großen Romeo bestohlen!«, fauchte er. »Aber mit dem König der Dichter kann man so etwas nicht machen. Es war eine höchst unkluge Herausforderung, die nach einer Antwort schrie: Auge um Auge, Wort um Wort – der Betrug musste gerächt werden!«
    Pala verfolgte

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