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Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte

Titel: Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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etwas Schrecklicheres geben, als über vollen Tellern zu verhungern? Das ist Zittos bevorzugte Hinrichtungsmethode. Er muss einen Narren an dir gefressen haben, dich nur in den Turm zu werfen.«
    »Ich bin immerhin seine Urururururururururururur-Enkelin!«
    Der Hauptjambus blieb mitten im Lauf stehen. »Was ist eine Uru?«
    Pala verdrehte die Augen zur Decke. Zittos Kreaturen schienen sprachlich samt und sonders unterentwickelt zu sein. Kein Wunder, bei einem Schöpfer mit solchen Minderwertigkeitsgefühlen. »Zitto und ich sind vom selben Blut.«
    Einen Moment lang war der Jambus wie versteinert. Dann sagte er: »In Seiner Hoheit Adern fließt längst kein Blut mehr, höchstens Tinte.«
    Nun war Pala sprachlos.
    »Warte hier!«, befahl der schabenhafte Leibgardist und überließ sie ihren übrigen Bewachern.
    Sie befanden sich wieder in dem kleinen Vorraum, der an den Felsenturm grenzte. Diesmal stand Pala dicht vor der eisenbeschlagenen Tür. Deshalb konnte sie nun auch das Gedicht über der steinernen Einfassung entziffern.
     
    Besiegen mutig feige Jammerlappen,
    wohl solche, die mit hasserfülltem Willen
    den eignen Durst nach Rache möchten stillen,
    verletzten Stolz gar konserviern in Mappen?
     
    Vergebungswille stirbt über Etappen,
    wo prüfen streng durch lupendicke Brillen
    den eig’nen Stolz auf Kratzer oder Rillen
    die Toren, die an ihrer Dummheit pappen.
     
    Solang der Austausch innerster Gedanken
    weckt Angst, vergleichbar nur mit Gruselschauer,
    tut man kaum mehr als immerfort nur zanken.
     
    Zur Weisheit kommt nach langer Lebensdauer,
    wer Unbeherrschtheit stutzt, die wilden Ranken.
    Erst ganz zum Schluss ist, wer Geduld hat, schlauer.
     
    »Nummer vierzehn!«, hauchte Pala. Ihr Blick hing an dem Gedicht und ließ sich einfach nicht mehr lösen. In dem Moment, als sie die letzten Worte des Sonetts gelesen hatte, war sie von einer starken Unruhe erfasst worden. Sie schwankte. Fast wäre sie wie ein Brett umgekippt, wenn nicht plötzlich harte Klauen wie Kneifzangen nach ihrem Arm gegriffen hätten.
    »Jetzt schlackern dir die Knie, nicht wahr?«, fragte der Hauptjambus.
    Pala hatte seine Rückkehr nicht einmal bemerkt. Trotzig antwortete sie: »Hat nichts mit deinen Gruselmärchen über Hungerkäfige zu tun, falls du das meinst. Darf ich jetzt auf mein Zimmer?«
    »Das ist keine Frage des Dürfens. Komm!«
    Unter dem Geleitschutz von fünf Fünffüßigen Jamben wurde die Gefangene in ihr Turmgemach geführt. Eine schwere Holztür flog auf, Pala hinein und die Tür wieder zu.
    Im Gegensatz zu üblichen Kerkern war dieser hier geradezu gemütlich. Das Gemach musste sich unmittelbar unter Zittos Arbeitszimmer befinden. Es besaß ein kleines, nicht einmal vergittertes Fenster, durch das man Silencias Lichter sehen konnte. Weiterhin standen ein Bett mit einer Strohmatratze darin, ein Hocker sowie ein hölzerner Eimer (offenbar als Abtritt gedacht). Jambus hatte sogar eine brennende Kerze dagelassen.
    Pala trat in die Mauernische des schlichten, nur aus viereckigen klaren Scheiben bestehenden Fensters. Bis hinauf ins Turmzimmer konnte sie den Lärm des aufständischen Wortklaubervolkes hören. Wenn Zitto es tatsächlich mit siedendem Öl überschütten ließ, dann war Giuseppe in höchster Gefahr. Ob sie ihn wohl sehen und warnen könnte?
    Wie sich schnell zeigte, war das Fenster nicht einmal verriegelt. Nach Dafürhalten des schon etwas steifen Schlossherrn schien allein die schwindelnde Höhe des Bergfrieds jeden Fluchtversuch unmöglich zu machen. Pala lehnte sich weit hinaus. Der Wind pfiff ihr um die Ohren.
    »Komm, Onkelchen, zeig dich!«, flehte sie. »Giuseppe, wo bist du?« Alle beschwörenden Worte nützten nichts. Der Burghof war, wider Erwarten, von ihrem Fenster aus nicht einsehbar, er hätte ebenso gut in einer anderen Welt liegen können… Eine seltsame Vorstellung, dachte Pala. Vom Turm aus sah Zittos phantastisches Reich nur wie der verwilderte Schlosshügel aus. Ihr Blick wanderte zur Stadt hinunter und sie staunte.
    Wieder erschienen die Häuser sonderbar nah, doch nun glühten sie auch noch wie Papierlaternen. Man konnte deutlich darin die Menschen als dunkle Schatten erkennen. Zu Palas Bestürzung entdeckte sie hier und da auch die Schemen von vereinzelten Wortklaubern, Nachzüglern offenbar, die von der Rebellion auf der Burg noch nichts wussten und dort unten ihren allnächtlichen Gewohnheiten nachgingen – sie schwebten über den Schlafenden und saugten ihnen Worte aus.

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