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Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte

Titel: Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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werden.
    »Geklettert ist das kleine Tozzochen, was denn sonst?«
    »Aber ich denke, Zitto hat alle Wortklauber an den Boden verbannt.«
    »Nur fliegen können sie hier nicht. Die andern sind auch zu schwer, um mit ihren dünnen Fingerchen so hoch zu klettern, aber nicht Tozzo. Nein, nein, nein, Tozzilein kommt immer rein.«
    Weil Tozzo nach wie vor in der Art einer Fledermaus kopfunter vor dem Fenster hing, lud ihn die Gefangene in ihren Kerker ein.
    Er ziehe zwar den Himmel als Dach vor, sagte der Wortklauber, aber so zimperlich wie seine Artgenossen sei er in dieser Frage nicht und für Pala wolle er gerne eine Ausnahme machen. Nachdem er den leeren Holzeimer umgedreht und darauf Platz genommen hatte, berichtete er wohlgelaunt und von seiner Zuhörerin häufig um Kürze ersucht, wie es ihnen seit dem Überfall der Wortklauber ergangen war.
    Man hatte sich ins Unterholz des Flüsternden Waldes retten können. Anschließend habe Giuseppe sich auf sein familiäres Erbe besonnen und wortschöpferisch das von Pala geöffnete Schlupfloch ausfindig gemacht. Auf diesem unsichtbaren Weg seien sie hiernach bis zur Burg gelangt. Unbedachterweise hätten sie dabei auch die übrigen Wortklauber zur Burg gelotst. Am Ausgang der Lügenschlucht sei es dann aber zu einer herzergreifenden Verbrüderung gekommen. Die Aussicht, den verhassten Zitto nun endlich wohin auch immer zu jagen, machte aus Feinden Freunde, aus Jägern und ihrer Beute Waffenbrüder. Im freundlichen Einvernehmen habe man hierauf die Burg gestürmt.
    »Leider nützt es nichts, nur da unten herumzutoben«, gab Pala zu bedenken.
    »Giuseppe meinte, für den äußersten Notfall habe er einen Plan.«
    »Und welchen?«
    »Das wollte er mir nicht sagen. Auf alle Fälle solle Pala aus dem Fenster klettern und fliehen, hat er gemeint. Und zwar gleich.«
    »Wir sind immer noch in Zittos Machtbereich, Tozzo. Selbst wenn man von hier aus die Stadt schon sehen kann, halte ich eine Flucht für ausgeschlossen.«
    »Nicht für Tozzilein. Es ist ein Wortklauber. Die können jederzeit über die Mauer fliegen.«
    »Wie schön für dich. Aber selbst wenn ich wie du Flügel hätte, dürfte ich nicht gehen.«
    »Das versteht Tozzo nicht.«
    »Zitto hat etwas Furchtbares vor, mein Kleiner. Es ist genau, wie du gesagt hast: Er will den Menschen die Worte nehmen. Alle Worte!«
    »Und wie willst du ihn aufhalten? Zitto ist sehr, sehr mächtig. Er kann…«
    »Ich habe ihn einmal besiegt und es könnte mir auch ein zweites Mal gelingen, davon bin ich fest überzeugt. Hör dir meinen Plan an.«
    Schnell erzählte Pala dem Wortklauber, was ihr erst kurz vor seinem Erscheinen in den Sinn gekommen war. Anschließend gab sie ihm einige wichtige Anweisungen. Dreimal musste er diese wiederholen.
    »Hurtig lauf ich, Giuseppe warn ich, von dir hol ich der Königin ihr Kind. Ach wie gut, dass niemand weiß, dass ich Tozzileinchen heiß!«
    »Du solltest die ganze Sache ein bisschen ernster angehen.«
    »Tozzo kann sich deine Anweisungen so aber am besten merken.«
    »Hoffentlich. Nun hängt alles von uns beiden ab. Kann ich mich auf dich verlassen?«
    »Tozzilein ist sooooo dumm und wird alles vermasseln.«
    Pala stöhnte innerlich, zwang sich aber zu einem Lächeln. »Du bist gescheiter, als du glaubst, mein Kleiner. Wir schaffen das. In Ordnung?«
    »Na gut.«
    »Also dann…« Pala schob sich mit dem Oberkörper durch das kleine Fenster. Eine Windbö fegte durch ihre Haare. Bald hing sie an der Außenwand des Zitadellenturms, doch nicht, um Giuseppes Rat zu folgen und zu fliehen, sondern um nach oben zu steigen.
    Der Burgturm war alt und sein Mauerwerk verwittert. Pala fand etliche breite Spalten und Vorsprünge, die sie als Griffe und Tritte nutzen konnte. Dennoch wünschte sie, diese Meisterprüfung ihrer Kletterlaufbahn nicht ausgerechnet barfuß ablegen zu müssen. Mehrmals rutschte sie ab, weil das brüchige Mauerwerk nachgab. Außerdem hatte sie den Wind unterschätzt, der übermütig mit ihrem Kleid und ihren Haaren spielte und sie dadurch mehr als einmal blind machte. Als ihre Hand sich bereits auf den Fenstersims von Zittos Arbeitszimmer schob, kam ihr ein schrecklicher Gedanke: Was sollte sie tun, wenn das Fenster verschlossen war? Dieser kurze Moment der Ablenkung hatte schlimme Folgen. Sie wurde von einer Bö gepackt und glitt mit den Füßen ab.
    Ein großes Mauerstück war unter Palas Zehen weggebrochen. Sie prallte mit der Brust gegen den rauen Stein und die Luft wurde ihr aus

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