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Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte

Titel: Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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zuzuhören.«
    »Aber Ihr verführt sie, was ich viel niederträchtiger finde. Wer die Sprache nicht mehr schätzt, der wird sie wie alten Plunder rausrücken, sobald jemand den richtigen Preis dafür bietet. Darum geht es Euch doch, oder? Ihr habt durch die Papperlas das Feld Silencia für Eure Ernte bereitet: Die Menschen lesen nicht mehr, unterhalten sich nicht mehr, sogar das Denken fällt ihnen schwer…«
    »Was auch gut so ist«, schnaubte Zitto. »Ob geschrieben, gesprochen oder gedacht – ihre plumpen Worte verhöhnen Uns doch nur. Wir haben ihnen ein unvergleichliches Geschenk gemacht, aber diese Toren wollten es nicht. Sie sind blind für die Schönheit Unserer Gewogenen Worte. Stattdessen schwafeln sie und schwadronieren, schnattern und stammeln, schmeicheln und sabbeln, säuseln und sabbern, schweinigeln und…«
    »Sprechen?« Palas Stimme klang leise, doch Zitto verstummte sofort. »Ist es das, was Euch in Wahrheit stört? Die Gefahr, jemand anderes könne eines Tages kommen und mit seiner vollendeten Sprache Eure Gewogenen Worte in den Schatten stellen?«
    »Unsinn!«, zischte Zitto auffallend schnell. »Die stinkenden sprachlichen Auswürfe der Menschen verschütten nur Unsere erhabene Kunst, nichts anderes. Schon seit Jahrhunderten quälen sie Uns damit. Erst wenn Wir ihnen das letzte Wort aus dem Munde geklaubt und daraus etwas Neues, Vollkommenes geschaffen haben, werden Wir Ruhe finden. Dann wird Unser Schlossgarten die einzige Wirklichkeit sein, die es noch gibt.«
    Pala entsann sich der Einsamkeit, die sie bisweilen in Zittos Garten empfunden, aber auch all des Schönen, das sie darin gesehen hatte: der wunderbaren Pflanzen, des niedlichen Nuschels, selbst dem hässlichen Tozzo konnte man noch Gutes abgewinnen. Wenn Zitto durch Worte all das hatte erschaffen können, musste er früher ein sehr empfindsamer Mensch gewesen sein, und vielleicht war er es tief in seinem Innern ja immer noch. Deshalb konnte sie ihn nicht hassen. Möglicherweise lässt sich seine verschüttete Person ja wieder freilegen, dachte sie und blickte verstohlen zu dem Meister-Sonett hin. Einen Versuch war es jedenfalls wert.
    Kämpferischen Tons sagte sie: »Nicht allein das Versmaß entscheidet über den Wert von Worten. Ein einfaches ›Ich liebe dich‹ kann mehr bewirken als das vollkommenste Gedicht. Und die Moral einer kurzen anrührenden Geschichte mag einen ganzen Sonettenkranz überstrahlen. Ich weiß, wovon ich rede, denn ich habe viele Stunden mit Gaspare Oratore verbracht, dem letzten großen Geschichtenerzähler Silencias. Ihr kennt die Macht seiner Worte, sonst hättet Ihr ihn nicht gefürchtet.«
    »Deshalb und noch aus einem anderen Grund.«
    Ihre Augenbrauen zogen sich zusammen. Was noch, außer der Wortgewalt Nonno Gaspares, konnte für Zitto eine Gefahr bedeutet haben? Wie aus dichten Nebelwolken glitt eine Erinnerung in ihr Bewusstsein, Worte, die Giuseppe kürzlich über die größte Schwäche des Unaussprechlichen gesprochen hatte. Palas Herz begann unvermittelt heftig zu schlagen, ihr Atem stockte. Zusammen mit Zittos Äußerung über dessen Erben ergab alles einen überraschend neuen Sinn… Als sie ihren bestürzenden Gedanken aussprach, klang ihre Stimme sehr leise, kaum hörbar.
    »Ihr fühlt Euch von Gaspare bedroht, weil Ihr sein Urgroßvater seid.«
    Zitto lächelte dünn. »Wir haben uns schon gefragt, wann Sie endlich darauf kommt. Nur Unser eigen Fleisch und Blut könnte Uns noch von dem zurückhalten, was Wir vorhaben. Da war so ein Wortschöpfer wie Gaspare Oratore natürlich eine ernst zu nehmende Gefahr.«
    In Palas Kopf drehte sich alles, aber sie konnte unmöglich abschätzen, ob dies der bekannte Rätsellösungsschwindel oder einfach ein Aufschrei ihrer überspannten Nerven war. »Also habt Ihr einfach einen Schwarm von Wortklaubern auf ihn gehetzt, damit sie ihm die Sprache absaugen…« Sie stockte, blickte grimmig auf ihren Silberbecher und schüttelte mit einem Mal ihr Lockenhaupt. »Aber warum sind die Nachtschwärmer dann später noch einmal zu Nonno in die Villa des Schweigens zurückgekehrt, wo es für sie doch nichts mehr zu holen gab? Ja, weshalb habt Ihr überhaupt bis heute gewartet, Euren abscheulichen Plan in die Tat umzusetzen?«
    Zitto kratzte sich am Hinterkopf und zögerte. Eisblaue Augen, die nur noch zwei schmale Schlitze waren, musterten das Mädchen. Als er endlich antwortete, klang es ausweichend; Palas erste Frage schien er schlichtweg überhört zu haben.

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