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Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte

Titel: Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Der Weg durch Zittos Garten war tatsächlich eine Suche nach dem eigenen Ich gewesen. In diesem Moment konnte es kaum etwas Schöneres für sie geben als den Gedanken, von ihren Eltern nicht gehasst, sondern geliebt worden zu sein. Doch warum hatte Zitto gesagt, sie sei ihrem Lebensrätsel nur »ganz nah«? War nun nicht endlich die Leere, die sie seit frühester Kindheit empfunden hatte, durch befriedigende Antworten ausgefüllt? Sie hatte sieben Prüfungen bestanden – nach allen Regeln der Märchenerzählkunst sollte das genügen. Irgendetwas stimmte nicht. Sie blickte in Zittos jahrhundertealtes Gesicht.
    »Ihr seid sehr offen zu mir gewesen, Urgroßvater Romeo. Fürchtet Ihr nicht, ich könnte nun anstelle meines Vaters Eure Pläne durchkreuzen?«
    Zittos Antwort klang sanft, aber unnachgiebig. »Dazu wird es nicht kommen, kleines Mädchen. Hier in der Festung ist Sie für Uns ebenso wenig eine Bedrohung wie die ihrer Flügel beraubten Wortklauber, die da unten keifen und sich ihre flaumigen Bäuche raufen.«
    »Dann wollt Ihr mich also nicht freilassen?«
    »Weshalb sollten Wir?«
    »Ihr habt doch…«
    »Wir haben Ihr lediglich zugestanden, es wohlwollend zu überdenken. Und dieser Vertrag ist nun erfüllt. Sie bleibt vorläufig Unsere Gefangene. Indessen – angesichts Ihres Sieges im Wortstreit und hinsichtlich Ihrer engen Blutsverwandtschaft mit Uns – werden Wir Sie nicht ins Verlies sperren. Im Turm ist noch ein Zimmer frei. Da kann Sie bis morgen früh nächtigen.«
    Morgen früh ist zu spät!, rief die Stimme des unermüdlichen Mahners in Palas Kopf. »Ihr dürft das Meister-Sonett nicht zurückrufen!«, flehte sie. »Oder lasst den Menschen wenigstens ihre Sprache, damit sie nicht zu vernunftlosen Tieren werden.«
    »Die Worte der Macht sind gesprochen, Pala. Selbst Wir können den Lauf der Dinge nicht mehr ändern. Und nun entferne Sie sich. Es gibt noch einiges zu regeln, bis diese Nacht vorüber ist. Wir wünschen wohl zu ruhen.«
    Zittos Hand bewegte sich auf eine ganz bestimmte Weise und erweckte dadurch zwei der bereitstehenden Handreichungsschaben zum Leben. Eine zog Pala den Stuhl unterm Hintern weg, die andere packte sie am Ellenbogen. Eingekeilt zwischen Fünffüßigen Jamben wurde sie aus dem Speisesaal geschleppt.
    »So könnt Ihr die Ruhe nicht finden, die Ihr Euch ersehnt«, rief sie zornig über die Schulter und stemmte sich gegen die Jamben. Der Schlossherr verfolgte ihren Abgang ohne erkennbare Regung. Wie mit Kneifzangen zerrten sie die Klauen der Jamben weiter, aber sie zappelte und schrie: »Was Ihr Rache nennt, ist in Wirklichkeit Feigheit, Urgroßvater. Ihr seid nicht der König der Dichter, sondern bestenfalls sein Kanzler, und das könnt Ihr nicht ertragen. Es verletzt Eure Eitelkeit. Indem Ihr den Menschen die Sprache raubt, hofft Ihr diese Wahrheit unaussprechlich zu machen und jedes Aufbegehren gegen Euch im Keim zu ersticken. Das ist die Ruhe, um die es Euch geht. Aber Ihr könnt niemals alle betrügen, nicht mich und viele andere auch nicht. Es gibt immer Menschen, die um der Wahrheit willen aufstehen und besiegen mutig feige Jammerlappen… «

 

     
Besiegen mutig feige Jammerlappen,
wohl solche, die mit hasserfülltem Willen
den eig’nen Durst nach Rache möchten stillen,
verletzten Stolz gar konservier’n in Mappen?
Vergebungswille stirbt über Etappen,
wo prüfen streng durch lupendicke Brillen
den eig’nen Stolz auf Kratzer oder Rillen
die Toren, die an ihrer Dummheit pappen.
Solang der Austausch innerster Gedanken
weckt Angst, vergleichbar nur mit Gruselschauer,
tut man kaum mehr als immerfort nur zanken.
Zur Weisheit kommt nach langer Lebensdauer,
wer Unbeherrschtheit stutzt, die wilden Ranken.
Erst ganz zum Schluss ist, wer Geduld hat, schlauer.

 
     
    Besiegen mutig feige Jammerlappen?« Der Hauptjambus, der Pala mit einer dreiköpfigen Eskorte am Eingang des Speisesaals in Empfang genommen hatte und sie nun über eine Treppe zum Turmeingang hinabführte, war außer sich vor Entrüstung. »Seine Hoheit ist kein Jammerlappen. Für dieses Wort könnte er euch vierzehnteilen.«
    »So wie seinen Sonettenkranz, meinst du? Lass mich doch in Ruhe, alter Kotzbrocken.« Pala schäumte noch immer vor gerechtem Zorn.
    »Du hast wohl nicht den Käfig in der Halle gesehen? Sei froh, nicht gleich dort eingesperrt worden zu sein. Du wärst nicht die Erste, der er mit Wonne beim Abmagern zusieht.«
    Pala schluckte. »Das ist nicht dein Ernst, Jambus.«
    »Und ob! Kann es

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