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Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte

Titel: Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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von seinem Pergament aufzublicken. Einer der Jamben bewegte kurz einen Fühler.
    Palas Worte waren reine Hochstapelei. Tozzo hätte selbst mit gestutzten Flügeln innerhalb einer Stunde zum Kloster hinunter und in die Stadt marschieren können, um seinen Auftrag zu erfüllen. Etwas musste schief gelaufen sein.
    Plötzlich änderte sich das Geräusch aus dem Burghof.
    Das Geschrei der Wortklauber klang schriller als zuvor. Zittos Kopf fuhr hoch.
    »Was ist geschehen?«, fragte Pala.
    Ein widerwärtiges Grinsen verzerrte Zittos Gesicht. »Jetzt sind die kleinen Biester wohl doch zu aufdringlich geworden.«
    »Willst du damit sagen…?« Pala verschlug es die Sprache.
    »Wir lassen sie mit siedendem Öl begießen. Zum Frühstück gibt es ausgebackene Scheusale.«
    »Du bist selbst das größte von ihnen«, schrie Pala, während sie gleichzeitig wie eine Verrückte am Gitter rüttelte. Von einem Augenblick zum nächsten beruhigte sie sich wieder.
    Selbst Zitto kam diese überraschende Zähmung seltsam vor. Er schaute von seinem Gedicht zu dem Mädchen auf, folgte dann ihrem Blick zum Fenster und erstarrte. »Was ist das? Sie werden doch nicht…«
    Jetzt erwachten auch die beiden Jamben zum Leben. Zitto befahl sie zum Fenster, um die Ursache des bedrohlichen Flackerns, das Palas Innehalten verursacht hatte, zu ergründen.
    »Feuer!«, rief eine der Schaben nach kurzer Peilung der Lage.
    »Aber ich habe ihnen doch ausdrücklich befohlen…« Zitto sprang auf, um sich selbst ein Bild vom Ausmaß des Brandes zu machen. Er lief zum Fenster, sah kurz hinaus und wandte sich dann der Käfiginsassin zu. »Ihr Freund scheint Uns ein Siebengescheiter zu sein. Er hat das Öl angezündet.«
    Pala lächelte grimmig. »Eigentlich nahe liegend. Ich nehme an, Bücherburgen sind leicht entzündlich.« Ihre Gelassenheit war nur gespielt. Tatsächlich verspürte sie ein mehr als mulmiges Gefühl in der Magengrube. Was hatte Giuseppe vor? Wollte er sie hier bei lebendigem Leibe rösten?
    »Allein seine Vermessenheit wird ihm nichts nützen«, blaffte Zitto von unten, schickte die beiden Schaben zur Brandbekämpfung nach draußen und lief mit weit ausholenden Schritten unter den Käfig zurück. Von dort grinste er zu Pala hinauf und meldete: »Jeden Moment läutet nämlich der Kampanile. Mit dem letzten Glockenschlag wird das Meister-Sonett hierher zurückkehren und alle Worte Silencias mit ihm. Dann vermag nie wieder jemand gegen mich aufzustehen und ich besitze – endlich! – die unbegrenzte Macht. Wie kann mich da noch so ein Feuerchen schrecken?«
    Das Gebrüll der rebellierenden Wortklauber schlug unversehens in ein furchtbares Gekreische um, das Pala einen eiskalten Schauer über den Rücken jagte. Es war das Gellen der Todesangst. Das Feuer musste die Kreaturen irgendwo eingeschlossen haben.
    Zittos verzücktes Gesicht schimmerte auf unheimliche Weise im Widerschein der Flammen. Noch hatten diese das Obergeschoss nicht erreicht, aber ihr unruhiges Licht flackerte bereits an der Hallendecke. Dunkle Qualmwolken stiegen vor dem Fenster auf.
    Pala rüttelte erneut am Gitter. »Lass mich frei, Urgroßvater Romeo! Ich kann dir doch nicht mehr gefährlich werden.«
    Zitto kratzte sich an der Schläfe und blickte unschlüssig zu seiner Urenkelin hinauf. »Habe Sie ein wenig Geduld, gleich wird der Uhrenturm den Zeitenwechsel einläuten.«
    Pala sank kraftlos in sich zusammen, schüttelte verzweifelt den Kopf und flüsterte: »Was ist mit dir geschehen, Tozzo?« Selbst wenn Zitto sie jetzt freilassen würde, konnte sie die Katastrophe nicht mehr abwenden. Der Weg aus dem Schlossgarten hinaus war zu weit, um ihn noch vor Mitternacht zu bewältigen und das Meister-Sonett zu verkünden. Warum nur…?
    Bim!
    Der erste Glockenschlag des Kampanile ließ Pala zu Eis erstarren. Selbst ihre Gedanken stockten.
    »Es ist so weit: Das Zeitalter des großen Schweigens bricht an!«, verkündete Zitto feierlich und wandte sich erhobenen Hauptes dem Fenster zu.
    Pala war unfähig etwas zu sagen. Sie lauschte nur, im Käfig zusammengekauert, auf den nächsten Schlag der Uhr. In dieser Nacht schien sich der Kampanile besonders viel Zeit zu lassen, als wolle er Zitto seinen Siegestaumel voll auskosten lassen.
    Bim!
    Mit dem zweiten Läuten änderte sich alles. Pala fuhr im Hungerkäfig hoch und Zitto stockte der Atem, denn über den Ton der Glocke erhob sich eine volle, wohlklingende Stimme. Pala erkannte sie sofort wieder. Sie gehörte Nonno Gaspare. Also

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