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Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte

Titel: Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Nina kann ich für ein paar Stunden der firmeneigenen Kinderkrippe anvertrauen – Zitto kümmert sich wenigstens um seine Familien.«
    »Willst du damit andeuten, ich würde euch vernachlässigen?« Vaters Stimme klang drohend.
    »Meine Gefühle scheinen dich jedenfalls nicht sonderlich zu interessieren«, antwortete Mutter schnippisch. »Außerdem können wir mit dem zusätzlichen Geld vielleicht bald in ein eigenes Haus umziehen.«
    »Mir gefällt es aber hier«, sagte Pala, hauptsächlich, um dem aufquellenden Streit der Eltern das Wasser abzugraben.
    Tatsächlich fiel die Mutter auf den Trick herein. Sie ließ vom Vater ab und lachte ihre Große an. »Warte nur, wie es dir erst in deinem neuen Zuhause gefallen wird!«
    Wie man sich denken kann, schlug die Mutter das unwiderstehliche Angebot nicht aus. Von nun an arbeitete sie also vormittags in Zittos neuer, hochmoderner Hauptverwaltung, der ein alter Kornspeicher an der Piazza dei Poeti hatte weichen müssen. Hin und wieder holte Pala sie nach der Schule von dort ab.
    Auf dem großen Dichterplatz herrschte nun Stille. Die Grauköpfe waren von ihren beruflich sehr eingespannten Kindern in Altersheime gesteckt worden, wo sie für gutes Geld eine ordentliche Betreuung bekamen. Auch von den Marktständen sah man nur noch wenige. Immer mehr Bewohner Silencias standen jetzt bei Zitto in Lohn und Brot, gerne nutzten sie die Bequemlichkeit seiner Läden. Zwar war das Einkaufen dort nur mehr ein wortloses Aneinandervorbeilaufen sich fremd gewordener Menschen, aber dafür konnte man Zeit und Geld sparen.
    Pala verabscheute die Zittomärkte. Sie besaßen überall dasselbe langweilige Warenangebot, waren keimfrei, abgesehen vom Gedudel der aus irgendwelchen Löchern quellenden Musik völlig still und sie beschäftigten maulfaule Kassiererinnen. Manchmal machte sie sich einen Spaß daraus, die weiß bekittelten Angestellten aus der Fassung zu bringen. So auch an diesem Mittag.
    »Sind Sie Sonderverkäuferin?« Palas erste Frage glich dem Eröffnungszug in einem Schachspiel. Mit Nonno Gaspare hatte sie sich früher oft stundenlang darin übertrumpft, möglichst lange Sätze zu erfinden, in denen alle Worte mit dem gleichen Buchstaben begannen. Diesmal war Palas Opfer eine vollschlanke rothaarige Dame mit großem Schönheitsfleck über dem rot geschminkten Mund, die gerade Plapperperlen in ein Regal räumte.
    »Sonder-… was?«, fragte die Kittelträgerin.
    »Schnelle Sonderverkäuferinnen sortieren sofort super Schnäppchen. Sind Sie Sonderverkäuferin?«
    »Ich bin Einzelhandelskauffrau«, antwortete die Rothaarige drohend.
    »Gehen Grundnahrungsmittel gerade gut?«
    »Sag mal, bei dir ist nicht zufällig irgend ‘ne Schraube locker?«
    »Spiralförmige Schrauben sitzen ständig sicher: samstags, sonntags…«
    »Schon gut. Ich kann hier nicht den ganzen Tag mit deinem Geplapper vergeuden. Du sagst mir jetzt einfach, was du brauchst. Das wirst du doch wohl noch schaffen. Ist ganz einfach: Ich – möchte – ein…«
    »Paar picobello Papppackungen puterroter Papperla-Papagei-Plapperperlen.«
     
     
    Die Gelehrten Silencias waren Menschen wie alle anderen auch. Ihr eigenes Ansehen in der Öffentlichkeit lag ihnen sehr am Herzen. Nachdem es gelungen sei, die gemeine Stechmücke in der Gegend so gut wie auszurotten, werde man die Urform der sprachlichen Schwindsucht endlich in den Griff zu bekommen – mit dieser Erfolgsmeldung ernteten sie viel Bewunderung. In letzter Zeit habe es nur noch wenige Neuerkrankungen gegeben, berichteten die Zeitungen. Die Stadt atmete erleichtert auf. Doch die Seuche war nicht besiegt, sie hatte sich nur ein anderes Aussehen gegeben.
    Immer mehr Begriffe aus dem Alltagsleben wurden durch Worthülsen ersetzt, die Goldzähnen gleich zwar hübsch glänzten und deshalb gerne im Mund getragen wurden, aber bei genauerer Untersuchung so gut wie inhaltsleer und zudem unnatürlich waren. Derlei Allgemeinbegriffe glichen Modeartikeln, sie verloren schnell ihren Reiz. Wo jedoch eine breite Palette sinnverwandter, aber eben doch nicht gleicher Begriffe durch einen einzigen Holzhammerausdruck ersetzt wurde, da gingen zwangsläufig die feinen, oftmals entscheidenden Sinnschattierungen verloren. Kurz: Der Gedankenaustausch wurde eintöniger.
    Pala konnte nicht verstehen, warum die immer mehr um sich greifende Verarmung der Sprache und damit des ganzen Lebens unter den Menschen kaum ein Thema war. Lag es womöglich an den Papperla-Papageien, die sich

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