Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte
legten die beiden Kriegsparteien eine sofortige Feuerpause ein, um die zornige Unterhändlerin mit feindseligen Blicken einzudecken. Einige erregte Atemzüge lang war nur das Plaudern Papperlapapps zu hören, der sich gerade in einer Lobeshymne über Zittos neues »Zentrum für gedankenfreie Selbstversenkung« erging.
Doch dann war der Moment der Verblüffung auch schon verflogen und Pala beobachtete voll Sorge, wie ein Ausdruck des Hasses das Gesicht ihrer Mutter verzerrte. »Was hast du da eben gebrüllt?«, zischte sie. Es klang wie der Laut einer giftigen Schlange.
»Dir steht es nicht zu, so etwas zu sagen«, knurrte der Vater und sah dabei aus wie ein Wolf.
Pala glaubte nicht mehr atmen zu können. Sie blickte zwischen den Eltern hin und her, die ihr mit einem Mal wie Fremde vorkamen. Etwas schnürte ihr die Kehle zu. Sie wollte eine Antwort geben, brachte aber kein einziges Wort hervor. Ein schauderhafter Gedanke brachte ihr Herz zum Rasen: So musste sich der Sprachschwund ankündigen.
»Das ›Zentrum für gedankenfreie Selbstversenkung‹ bietet zahlreiche kostenlose Kurse zur Verdrängung von Alltagsproblemen an«, laberte Papperlapapp ungerührt. »Mit dem ›Programm zum bewussteren Schweigen‹ sollen Kommunikationsstaus abgebaut…«
»Aber«, stammelte Pala, Tränen liefen über ihre Wangen, es war ihr fast unmöglich, sich gegen das nervtötende Geplapper des Papageis durchzusetzen, »aber wenn ihr euch trennt oder sogar scheiden lasst, dann… Ihr könnt doch nicht nur an euch denken. Ihr habt einfach kein Recht dazu. Was soll aus uns werden, aus Nina und mir? Bedeuten euch eure Kinder denn überhaupt nichts mehr? Wir…«
»Du bist nicht mein Kind!«, zischte die Schlange, die in der Haut von Palas Mutter steckte.
Die Worte drangen wie Giftzähne in des Mädchens Seele ein: spitz und mit einem brennenden Schmerz. Umgehend stellte sich die lähmende Wirkung ein. Palas Körper schien aus Eis zu bestehen. Sie konnte ihn nicht mehr fühlen. Mühsam brachte sie gerade noch ein Kopfschütteln zustande, gefolgt von den fassungslosen Worten: »Was soll das heißen, ich bin nicht dein Kind?«
Der Papperla ergötzte sich gerade an einem Witz, über den er selbst schallend lachen musste, aber niemand in der Küche wollte sich ihm anschließen. Die Mutter funkelte das aufgeregte Mädchen nur zornig an und sah zum Vater hinüber.
»Wie hat sie das gemeint?«, fragte Pala nun ihn. Ihre Unterlippe bebte. Ehe seine heisere Stimme zu Worten fand, ahnte sie bereits die Antwort. Sogar Nonno Gaspare oder Dottore Stefano hatten sie manchmal »mein Kind« genannt, aber niemals ihre Mutter. Es war, als würde jemand einen hauchdünnen Vorhang von Palas Gefühlen reißen, um eine Erkenntnis ins grelle Licht ihres Bewusstseins zu zerren, die sie in Wirklichkeit schon immer schemenhaft wahrgenommen hatte. Mit dem Lüften dieses Schleiers blieben nun auch die Fragen zu ihrer frühesten Kindheit nicht länger unbeantwortet. Alle Zweifel wurden ebenso fortgetragen wie einst jene Kinderbilder, die der Wind vor Nonno Gaspares Haus mitgenommen hatte. Denn jetzt sprach der Vater die Wahrheit offen und mit hörbarem Unbehagen aus.
»Wir sind nicht deine richtigen Eltern, Pala. Du bist nur adoptiert…«
Ehe er auch nur ein Wort des Bedauerns ausdrücken konnte, fiel ihm Ninas Mutter geifernd ins Wort: »Ja, aber hätte ich gewusst, was für ein undankbares Kind wir uns da aufhalsen, wärst du heute noch das Mündel, für dessen Pflege wir uns wöchentlich hatten bezahlen lassen. Wenn du mir nicht glaubst, zeige ich dir gerne die vergilbten Empfangsscheine aus dem Pappkarton, der früher in Omas Stube stand. So, jetzt weißt du, weshalb du kein Mitspracherecht in der Familie hast. Ob deine Adoptiveltern auseinander gehen oder nicht, ist allein ihre Angelegenheit. Und jetzt scher dich auf dein Zimmer, bevor ich mich vergesse.«
»Erst ganz zum Schluss ist, wer Geduld hat, schlauer, des Schweigens Kind wächst auf als Schmerz von Dauer«, trötete der Papagei vergnügt.
In diesem Moment gerieten Palas Empfindungen restlos aus den Fugen. Sie wusste nicht mehr, wie sich Hass oder Liebe anfühlten und was davon gerade in ihr stärker war. Sollte sie betteln, flehen, winseln, weinen oder schreien? Ihr ganzer Groll ballte sich gleichsam zu einem kleinen lodernden Feuerball zusammen, der zuerst ihr Herz verbrannte, anschließend durch ihren Arm kullerte, bis sich ihre Hand vor Schmerz zusammenkrampfte und über Ninas Kopf
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