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Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte

Titel: Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Momenten bewusst, er verlangte mindestens ebenso viel geduldiges Zuhören.
    Sie erwiderte müde das Lächeln ihres alten Freundes und umschloss seine runzelige Rechte mit ihren feingliedrigen Händen. »Dottore Stefano hat mir meine Geschichte nicht geglaubt. Ich muss allein herausfinden, ob Zitto wirklich mehr als nur ein geldgieriger Mensch ist, Nonno. Kauft er den Menschen auch ihre Worte ab? Buchstäblich, meine ich. Kann es so etwas geben?«
    Gaspare hob hilflos die Schultern.
    Pala griff zu dem Zeichenblock, ihr ständiger Begleiter, wenn sie die Villa des Schweigens besuchte, und warf eine nur aus wenigen Strichen bestehende Skizze auf das Papier. Der Geschichtenerzähler verstand das Bild sofort. Es zeigte Zittos Schlosshügel. Dann zog Pala eine Linie vom Fuß des Berges bis zu dessen Spitze und tippte sich anschließend an die Brust. »Wie kann ich ins Schloss kommen, Nonno?«
    Die Miene des alten Mannes verdüsterte sich. Er hatte verstanden, was das Mädchen wollte, aber es gefiel ihm nicht. Unwillig starrte er auf das Bild.
    Pala legte den Kopf schräg und zeichnete die Grenzmauer ein. Anschließend malte sie ein Strichmännchen mit Kleid und Locken. Wieder deutete sie auf sich. »Das ist Pala«, sagte sie. »Wie komme ich da drüber?« Sie zog eine gebogene Linie von der Figur über die Mauer hinweg.
    Gaspares Augen wurden groß. Er schüttelte heftig den Kopf und entriss dem Mädchen erst das Papier, dann den Stift, um sich nun seinerseits des Bildes anzunehmen. Hastig malte er Kreise, Kringel, ein wahres Knäuel von Linien, bis das Strichmännchen und der von Pala angedeutete Weg über die Mauer nicht mehr zu sehen waren.
     
     
    Wer eine Audienz bei Zitto beantragte, war zwangsläufig verdächtig. Er wurde ungefähr wie jemand behandelt, der eine Bombe mit angezündeter Lunte in der Hand hält. Einen solchen Menschen nimmt man entweder nicht ernst oder man fürchtet ihn. Dennoch wollte Pala nichts unversucht lassen, um bei dem zukünftigen Bürgermeister vorstellig zu werden. Ihre Eltern – sie arbeiteten ja beide für den »großen Sohn Silencias« – hatten auf das Anliegen ihrer Tochter hin zuerst einen Lachanfall erlitten und ihr anschließend zwei Wochen Stubenarrest verordnet. Vorsichtige Erkundigungen bei Lehrern, auf dem Rathaus und in der Hauptverwaltung von Zittos Firma brachten ähnlich unbefriedigende Ergebnisse. Einige der Befragten wurden von beängstigenden Heiterkeitsausbrüchen geschüttelt, andere starrten das Mädchen furchtsam an und flüchteten aus dem Zimmer, ein Beamter rief umgehend die Polizei.
    Dank Geistesgegenwart und langer Beine war Pala der Verhaftung gerade noch entronnen. Seitdem versuchte sie nicht mehr den Amtsschimmel auf Trab zu bringen. Mit seinem Geld schien Zitto das Gemeinwesen der Stadt schon in der Hand zu haben, bevor er überhaupt zum Bürgermeister gewählt worden war. Wenn es für einen sterblichen Menschen einen Weg in die Zitadelle über der Stadt gab, dann war es ein verbotener.
    Folgerichtig verlegte sich Pala nun auf die heimliche Beobachtung der einzigen Zufahrt zum Schloss. Dabei kam ihr eine glückliche Fügung zupass. Die Stadtbücherei von Silencia lag, ebenso wie das Hauptquartier von Zittos Wachposten, am Zitadellenplatz. Von einem der Lesetische im Obergeschoss aus konnte Pala durch das Fenster genau auf das Tor des Schlossgartens blicken.
    In der Bibliothek war sie so gut wie ungestört. Der einfache Bürger mied dieses Haus, weil es im schlimmsten Fall als gefährlich, im günstigsten als Anmaßung galt, sich in die Betrachtungen der großen Denker von einst zu vertiefen. Deren Werke seien, wie die Papperla-Papageien aus der Satzung von Arche Zitto anführten, zu bewahren und zu schützen – häufiges Lesen zerstöre sie nur. Wenn jemand Erleuchtung suche, dann könne er sich schließlich die wissenschaftlichen Vorträge der Vögel anhören, die zudem erheblich unterhaltsamer seien als die trockenen Ausführungen der Gelehrten. Einflüsterungen dieser Art entfremdeten die Menschen viel nachhaltiger ihren sprachlichen Schätzen, als es eine vollständige, womöglich Widerspruch heraufbeschwörende Schließung der Stadtbücherei hätte bewirken können. Sie suche hier etwas, worüber die Papageien nicht sprächen, begründete Pala ihre häufigen Besuche gegenüber der Bibliotheksleiterin und verzog sich mit einem Buch auf ihren Beobachtungsposten.
    Das Tor zu Zittos Garten wurde zwar streng bewacht, aber offenbar niemals geöffnet. Zu

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