Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte
Gang. Die dünnen Ärmchen mit den spinnenbeinfingrigen Händen fuchtelten mehr oder weniger ziellos in der Luft herum.
Allmählich wurde das Gezeter leiser, bis der Wortklauber schließlich ganz verstummte. Im Augenblick schien keine Gefahr von ihm auszugehen, weshalb Pala unter ihn trat und ihn neugierig beäugte. Der baumelnde Schwirrer konnte kaum größer sein als ein fetter Kater. Sein rostrotes Flaumwams bestand aus feinen Federn, vielleicht auch aus flauschigem Pelz, eindeutig ließ sich das nicht bestimmen. Die Haut darunter – am Kopf sowie an den nur spärlich beflaumten vorderen und hinteren Gliedmaßen sattsam zu bewundern – war einen Ton dunkler gefärbt. Seine spitzen Ohrchen bewegten sich entgegen dem Pendeltakt, standen also, für sich allein betrachtet, still. Die großen, häufig blinzelnden Augen sahen ängstlich auf Pala hinab. Im Vergleich zu anderen Artgenossen musste man das kleine Scheusal als zwergwüchsig einstufen, was den Gedanken an ein Jungtier nahe legte. Dagegen sprachen jedoch seine abgewetzten, alles andere als gefährlich aussehenden Stummelkrallen an den Hinterfüßen und der besonders spärliche, an manchen Spitzen grau schimmernde, unwillkürlich an ein Greisenhaupt erinnernde Kopfflaum.
Pala fragte sich, was der Wortklauber in dem Baum gesucht hatte. War er ein Kundschafter jenes anderen Schwarms, dem sie ihre hämmernden Kopfschmerzen verdankte, oder hatten sie den Kleinen nur beim Schlafen überrascht? Eigentlich, dachte sich Pala, ist er gar nicht so hässlich. Na gut, als Schoßhündchen würde er wohl nicht durchgehen, aber vielleicht waren in Zittos Reich gar nicht alle Scheusale wortrünstig und böse. Möglicherweise kannte der Zwerg ja sogar den Weg zur Zitadelle und könnte…?
Wumm! Der Keulenschlag traf den Wortklauber etwa in Höhe der Bauchmitte. Er pendelte wie besagter Boxsack weit aus und gab dabei ein blökendes Geräusch von sich, als stecke die Brummkapsel eines Teddybären in seinem Leib. Gleichzeitig wurde er zitronengelb.
Während er pfeifend wie ein Asthmatiker die herausgepresste Luft zurückholte und dabei seine alte Farbe auffrischte, schrie Pala ihren Freund an, dessen Angriff sie gründlich überrascht hatte. »Giuseppe, was machst du denn da!«
»Das Biest hat mir die Sprache verhunzt, jetzt werde ich ihm den Pelz bügeln.«
Paff! Ein weiterer Schlag traf den Wortklauber. Abermals pendelte er an seinem erstaunlich gelenkigen Bein weit nach hinten, dann vor und wieder zurück. Die ganze Zeit quiekte er in Todesangst wie ein Ferkel unter dem Messer des Schlachters.
»Woher willst du eigentlich wissen, ob er dabei war?«, ergriff Pala für die lebende Boxbirne Partei.
»Was spielt das für eine Rolle?« Giuseppe holte zum nächsten und vielleicht letzten Schlag aus.
»Halt!«, schrie Pala und warf sich mit ausgestreckten Armen zwischen den Todeskandidaten und seinen Henker. »Bist du jetzt schon genauso wie die Menschen in Silencia geworden, die zum Fragen zu faul sind und sich lieber mit ihren Vorurteilen zufrieden geben? Man kann nicht alle Wortklauber über einen Kamm scheren.«
»Nein, kann man nicht!«, mischte sich ein Dritter in ihren Meinungsaustausch ein.
Pala und Giuseppe verstummten für einen Moment und sahen einander fragend an. Wer hatte sich da zu Wort gemeldet? Die hohe, auf eine sägende Art näselnde Stimme war jedenfalls von oben gekommen.
»Ist das unser Scheusal dort gewesen?«, fragte Pala. Ihr Zeigefinger deutete himmelwärts.
Giuseppe stieß dem Wortklauber das verkohlte Ende seines Prügels in den Bauch, nicht sehr heftig, gerade stark genug, um ihn wieder pendeln zu lassen. »He, du da!«, rief er zu dem Steckengebliebenen hinauf. »Kannst du sprechen?«
»Ja-ja-ja-ja-ja-ja-ja«, knarzte der Zwerg beflissen. »Tozzo kann gut sprechen. Schön sprechen kann Tozzo. Alles, was du willst. Aber du darfst es nicht mehr schlagen. Bitte, bitte nicht mehr…«
»Halt’s Maul!«, unterbrach Giuseppe den bibbernden Wicht. »Ob ich dich totprügle oder es bleiben lasse, das entscheide ich.«
»Giuseppe, bitte beruhige dich«, sagte Pala leise, aber beschwörend. »Was die Wortklauber dir angetan haben, ist furchtbar. Aber du machst es nicht ungeschehen, indem du deinen Rachedurst an dem Kleinen da auslässt. Eher im Gegenteil.«
»Wie meinst du das?«, fragte Giuseppe zögernd.
»Er könnte uns sehr nützlich sein.«
»Ja-ja-ja-ja-ja-ja-ja, es kann euch nützlich sein. Sehr nützlich sogar! Tozzo ist das
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