Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte
der Rückweg in das Schloss sei ihnen durch einen Bann versagt.
Sogar Giuseppe musste dem Wortklauber glauben, so anschaulich konnte Tozzo seinem Hass auf Zitto Ausdruck verleihen. Als der Erzähler den Gefangenen endlich freiließ, erlebte Pala herzerweichende Dankbarkeitsbekundungen. Tozzo stieg über der Lichtung auf, aber nicht um zu fliehen, sondern weil er Purzelbäume schlagen musste. Anschließend bestand er darauf, seinen Rettern die Hand zu schütteln, was selbst für die ihm wohlgesinnte Pala eine gewöhnungsbedürftige Erfahrung war. Von dieser Minute an verlief die Unterhaltung in wesentlich entspannterer Stimmung.
Sein Name, gab Tozzo überschwänglich bekannt, sei ein Wort, das Zitto den Menschen schon vor langer Zeit abgegaunert habe, ein ziemlich unbedeutendes zudem, sozusagen Zittos Erstlingswerk im Geschäft der Wortklauberei – deshalb sei aus ihm, Tozzo, auch nie so ein strammer Bursche geworden wie aus manch anderem seiner Kollegen. Hinzu käme sein beklagenswerter Mangel an Boshaftigkeit. Er sei eben auf ganzer Linie verpfuscht.
Pala tröstete den Kleinen. Kein Geschöpf sei von sich aus verpatzt, sondern es habe die freie Wahl, dem Guten oder Bösen zu dienen. Der Rest seien nur Äußerlichkeiten – manchmal allerdings potthässliche, fügte Giuseppe mürrisch hinzu. Pala rügte ihn dafür mit einem strengen Blick und wandte sich wieder ihrem neuen Pfadfinder zu. Wie denn das mit dem »Erstlingswerk« und Zittos schöpferischer Tätigkeit zu verstehen sei, fragte sie.
Der missgestaltete, aber irgendwie auch witzige Wortklauber aalte sich längst in der Anteilnahme, die man seiner Art im Allgemeinen und ihm im Besonderen entgegenbrachte. In dem Maße wie seine Angst vor Giuseppe abnahm, gewannen seine zuvor eher flatterigen Ausführungen an Ruhe und Verständlichkeit. Er ließ sich behäbig vor den beiden Menschen auf den moosbedeckten Boden sinken und holte mit dem Gehabe eines Professors zu einer weitschweifigen Erklärung aus.
Zitto luchse den Menschen Begriffe, Sinnsprüche oder ganze Gedichte und Geschichten ab, um dadurch seine Macht zu mehren, seinen Garten zu vergrößern und seine Burg in die Höhe zu treiben.
Wie auf der Suche nach einem besseren Platz zum Zuhören flatterte der buchstabierende Zitronenfalter herbei und setzte sich auf eine von Tozzos Fußkrallen.
»Der Schmetterling!«, rief Pala entzückt.
»Schreiberling wird er genannt«, verbesserte der Wortklauber und nutzte den Falter geschickt als Anschauungsobjekt für seine weiteren Ausführungen. Wenn ein Dichter, ein Schriftsteller oder ein Märchenerzähler nach der vollkommenen Formulierung suche, unzufrieden eine Fassung nach der anderen verwerfe und seine zerknüllten Papierbogen allmählich den Boden unter seinem Schreibtisch bedeckten, dann sei er vermutlich gerade dabei, einen Schreiberling auszubrüten. Genau genommen sei es natürlich Zitto, der aus dem Urstoff verschmähter Sprachgebilde den kleinen Flattermann erschaffe.
»Und wie soll das gehen?«, fragte Pala verwundert.
»Nichts vergeht«, antwortete der Wortklauber.
»Du verstehst mich nicht…«
»Nein-nein-nein-nein«, fiel Tozzo ihr ins Wort. »Du verstehst es nicht. Die Antwort auf deine Frage lautet: Kein Wort kann zerstört werden. Umwandeln lässt sich’s, aber niemals vernichten.«
»Sei mir nicht böse, aber das ist Unsinn. Wenn dein Märchenerzähler seinen Entwurf in die Kerzenflamme hält, dann wird er höchstens in Asche umgewandelt. Willst du mir weismachen, Zitto würde daraus sein Reich erschaffen?«
»Dir ist da eine Kleinigkeit entgangen«, mischte sich jetzt Giuseppe ein. »Sobald das Papier Feuer fängt, entsteht Wärme, die du in einer kalten Winternacht sehr zu schätzen wüsstest.«
»Ja, und wenn der Ofen aus ist, beginne ich wieder zu frieren.«
»So einfach ist das nicht, Pala. Die Energie existiert weiter. Die Wärme verteilt sich im Raum, sie wird sozusagen verdünnt, aber selbst wenn sie zu den Sternen entflieht, geht sie doch niemals verloren.«
»Ja-ja-ja-ja, er hats begriffen!«, jubilierte Tozzo und weil Palas Gesichtsausdruck noch immer Unverständnis ausdrückte, erklärte er es noch einmal ganz langsam.
Mit Worten, ob gedacht, geschrieben oder gesprochen, verhalte es sich ebenso wie mit dem Papier: Sie könnten nicht zerstört, sondern nur umgewandelt werden. Ihrem Urstoff eine neue Gestalt zu verleihen sei keine Zauberei. Man benötige dazu nur ein verborgenes Wissen, das Menschen gemeinhin nicht
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