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Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte

Titel: Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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besäßen. Aber Zitto verfüge über diese Kenntnisse und nutze sie beständig, um sein Reich zu vergrößern. Alles in Zittonien bestehe aus ergaunerten Sprachfetzen, auch die Wortklauber.
    Palas Augenbrauen zogen sich zusammen, wobei sie gleichzeitig die Lippen schürzte. »Du willst mir also erzählen, ich bräuchte nur ein Wort auf einen Zettel zu schreiben, diesen verbrennen und schon baut sich Zitto daraus einen neuen Brummer?«
    Tozzo lachte, was seinen Schmerbauch wie Wackelpudding erzittern ließ. So einfach sei das nun auch wieder nicht, prustete er. Wortklauber seien hauptsächlich dazu geschaffen, Menschen Sprachbrocken abzusaugen. So lange ein Wort im Bewusstsein vieler Personen lebe, mögen sich die Klauber aus dem Gedächtnis Einzelner Leckerbissen herausziehen, aber umwandeln könne Zitto es nicht. Doch sobald es niemand mehr benutze, verliere es seine ursprüngliche Form. Und dann könne Zitto daraus einen neuen Wortklauber erschaffen. Ehemals schöne Worte verliehen den schwirrenden Wesen eine freundliche Farbe, Flüche oder andere üble Sprachgebilde dagegen eine düstere. Bedeutendes werde zu einem großen und starken Wortklauber, Geringes zu einem kleinen, schwachen. So wachse beständig Zittos Heer, das ihn beim Zusammenklauben unbeachteter Worte unterstütze. Und damit nehme auch seine Macht über die Menschen immer schneller zu. Der größte Triumph müsse es zweifellos für ihn sein, eine ganze Sprache zu töten.
    Pala erschauderte. »Wäre das denn möglich?«
    »Leicht ist das nicht«, beruhigte Tozzo seine aufgeschreckten Zuhörer. Es gebe natürliche Grenzen. Schon einem einzelnen Menschen wie Gaspare Oratore den gesamten Wortschatz zu stehlen, sei furchtbar anstrengend. Es erfordere eine Schar von Wortklaubern, berge darüber hinaus das von Zitto wie auch seinen Fängern mehr als alles andere gefürchtete Risiko der Entdeckung und sei überhaupt ziemlich unwirtschaftlich. Normalerweise müssten die Menschen nämlich freiwillig auf ihre Worte verzichten, was sie im Übrigen öfter taten, als Pala und Giuseppe wohl für möglich hielten. Deshalb tue Zitto alles, um ihnen diesen Verlust schmackhaft und erstrebenswert zu machen.
    Er besteche sie auf heimtückische Weise, indem er ihre Vorstellungen von dem ändere, was gut und richtig oder schlecht und falsch sei. Früher hätten die Menschen von Silencia für ein anregendes Gespräch alles stehen und liegen gelassen, heute würden sie dergleichen höchstens noch für einen Papagei tun, aus dem möglichst viele Sensationen heraussprudelten. Und dabei verliere nichts so schnell seinen Wert wie ebensolche Nachrichten. Die Zeitung von gestern – wen interessiere die noch? Wo immer etwas Gesagtes oder Geschriebenes seinen Sinn einbüße, kreisten die Wortklauber schon wie Geier, um es auseinander zu reißen und fortzutragen. Wird irgendwo etwas geflüstert, ist es eine leichte Beute. Ein stiller Seufzer oder ein peinlicher Versprecher sind ebenso schnell aufgeschnappt. Selbst ein Wort des Verrats, vom Verleumder eilig abgestritten, lässt sich leicht kaschen. Wortkadaver gibt es überall. Und in letzter Zeit wachse Zittos Garten schneller denn je.
    Pala war sich der Wahrheit von Tozzos Worten nur zu bewusst. Der rostrote Wortklauber sagte, es sei Zittos Ziel, sich ganz Silencia zu unterwerfen. Die Stadt solle endlich ihrem Namen Ehre machen, höhne er unentwegt, und zu einem Ort großer Stille werden. Kein einziges Wort solle mehr in ihr gehört werden.
    »Umso wichtiger ist es, Zitto in seiner Festung zur Rede zu stellen. Du musst uns verraten, wie wir dorthin gelangen«, sagte Giuseppe.
    »Zur Rede stellen?«, gackerte Tozzo. »Zur Rede! Er ist der Meister aller Redner, ein König unter den Dichtern. Wer von euch beiden kann das von sich sagen?«
    Pala sah ihm streng in die Augen. »Du lenkst schon wieder ab, mein Kleiner. Muss ich dich erst an deinen Schwur erinnern, damit du mit der Wahrheit über den Weg zur Burg herausrückst?«
    Der Schwirrer wirkte mit einem Mal gekränkt. »An sein Wort musst du Tozzo nicht erinnern. Zittos Macht wohnt in seiner größten Schwäche.«
    »Und die wäre?«
    »Worte.«
    »Drück dich etwas klarer aus!«, brummte Giuseppe drohend. Tozzo zuckte unwillkürlich zusammen.
    »Er tut dir nichts«, sagte Pala freundlich zu dem kleinen Scheusal. »Wie hast du das gemeint mit der Schwäche, in der Zittos Macht wohnt?«
    »Tozzo weiß, was Zitto schrecken kann. Niemanden fürchtet er so sehr, wie einen, der neue

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