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Paladin der Seelen

Paladin der Seelen

Titel: Paladin der Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lois McMaster Bujold
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graue Faden bewegte sich nun wie durch einen finsteren Tümpel und ähnelte einer Angelleine, die von einem Hecht mitgezogen wurde. »Wir haben nicht viel Zeit. Wir müssen beginnen.« Sie kniete zwischen den beiden Liegen nieder.
    Illvin ergriff ihre Hand und drückte sie gegen die Lippen. Als Ista sie zurückzog, streichelte sie seine schlüpfrige Stirn. Nahm sich zusammen. Schloss die verwirrenden Eindrücke aus, die auf ihre Augen einstürmten, und wandte sich der Wirrnis von Licht und Schatten zu, als die sie mittlerweile das Reich der Geister wahrnehmen konnte. Sie hatte den Verdacht, dass die Götter den Anblick für sie vereinfachten und die Wirklichkeit darunter noch sehr viel komplizierter und fremdartiger war.
    Sie hob die Verengung auf, die sie um das weiße Rinnsal aus Illvins Herz gelegt hatte, öffnete die Verbindung weit. Seelenfeuer strömte hervor und vereinigte sich mit dem trägen, schwerfälligen Strom, der von Cattilara ausging. Es floss in die Nacht hinaus und wand sich dabei um den grauen Faden herum, ohne ihn zu berühren. Das Leben wich aus Illvins Gesicht; es wurde starr und wächsern. Ista schauderte.
    Sie wandte sich ab und betrachtete die schlafende Cattilara. Hinter dem dünnen Brustbein wirbelte der Dämon wild umher. Hier baute sich ein erheblicher Druck auf und steuerte einem katastrophalen Zusammenbruch entgegen. Istas nächste Aufgabe war gefährlich für sie alle, doch sie konnte sich ihr nicht entziehen. Sehr viele Seelen standen bei diesem Ritt auf dem Spiel …
    Sie verengte den Strom von Cattilara und drückte das Seelenfeuer von ihrem Herzen hinauf in den Kopf. Der Dämon versuchte zu folgen, doch sie legte ihre wie von Schnee gezeichnete Linke auf Cattilaras Schlüsselbein. Fasziniert schaute sie auf den gräulichen Glanz, der plötzlich von ihren Fingern ausging. Der Dämon schrumpfte wieder in sich zusammen und winselte in neuerlichem Schrecken. Cattilara schlug die Augen auf.
    Sie versuchte, sich zu erheben, doch ihr Körper war weiterhin gelähmt. »Ihr!«, schrie sie Ista an. »Verflucht, lasst mich gehen!«
    Ista atmete langsam aus. »Arhys ist unterwegs. Habt Mitleid mit seinen Feinden, denn der Tod kommt über sie aus der Finsternis auf einem Dämonenpferd, und Schwert und Feuer bringt er mit sich. Viele werden ihn heute Nacht begleiten, auf seiner Reise zum Anwesen seines Vaters, und ihre Seelen werden vor dem hallenden Tritt seiner Füße hergetrieben wie zerfetzte Flaggen. Ihr müsst nun wählen. Werdet Ihr ihm helfen oder ihn behindern auf seiner letzten Reise?«
    Cattilara warf den Kopf vor und zurück in verbissenem Leugnen. »Nein! Nein! Nein!«
    »Der Gott selbst erwartet seine Ankunft. In diesem schicksalhaften Augenblick hält er den heiligen Atem an. Arhys’ Herz fliegt ihm schon voraus zu den Händen des Vaters wie eine Brieftaube. Selbst wenn er nun noch zurückgezogen werden könnte, er würde den Rest seines Lebens – und es wäre nicht mehr lang, denke ich – vor diesem Fenster verbringen und sich nach seiner letzten Heimat verzehren. Er würde es Euch nicht danken. Er kann Euch nicht lieben, wenn sein ganzes Herz bereits in jenem anderen Reich weilt. Ich fürchte, er könnte gar lernen, Euch zu hassen; denn nun weiß er, was für einer Herrlichkeit Ihr ihn beraubt. Für diesen abschließenden Moment, den letzten Augenblick der Zeit und der Wahl, denkt nicht daran, was Ihr begehrt. Denkt daran, was er begehrt. Nicht an Eure Wünsche, sondern an sein Bestes.«
    »Nein!«, schrie Cattilara.
    »Also gut.« Ista streckte die Hand aus, um die Verengung zu lösen. Dabei behielt sie stets den unruhigen, aufrührerischen Dämon im Blick.
    Cattilara drehte den Kopf zur Seite und flüsterte: »Ja.«
    Ista hielt inne, atmete aus. Flüsterte zurück: »Dann bete ich, dass die Götter mich noch verstehen mögen und mein geflüstertes Ja alle gerufenen Nein übertönt und bis in ihr fünffältiges Reich emporsteigen kann. Wie ich gehört wurde, so höre ich auch Euch.« Sie schluckte schwer. »Haltet Euren Dämon auf Kurs. Das wird nicht einfach.«
    »Wird es sehr wehtun?«, fragte Cattilara. Endlich blickte sie Ista in die Augen. Ihre Stimme wäre fast unhörbar gewesen, wäre es auf der Plattform nicht so still gewesen. Nicht einmal ein Rascheln von Kleidung war zu vernehmen von den Leuten, die dastanden und abwarteten.
    Ja. Nein. Ich habe keine Ahnung. »Ja, ich glaube schon. Wie bei jeder Geburt.«
    »Oh. Gut.« Sie wandte sich wieder ab, doch diesmal nicht,

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