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Paladin der Seelen

Paladin der Seelen

Titel: Paladin der Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lois McMaster Bujold
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blieb immer noch dy Lutez’ Mörderin. Die Einzige dieser kleinen, verschworenen Gemeinschaft, die noch am Leben war. Diese Rolle hatte sie selbst gewählt; das blieb ihr erhalten.
    Wieder beugte sie sich zwischen den Zinnen nach vorn. Der raue Stein scheuerte an den lavendelfarbenen Ärmeln ihres Trauergewandes und riss einige Seidenfäden heraus. Die Straße lag im Licht des frühen Tages unter ihr, und sie ließ den Blick darüber schweifen, über die Pflastersteine unter dem Turm und den Hügel hinunter, durch die Stadt, über den Fluss … und wohin dann? Alle Straßen sind in Wahrheit nur eine einzige, hieß es. Ein großes Netz, das über dem Land lag, das sich verästelte und wieder zusammenlief. Und alle Straßen führen in zwei Richtungen, sagte man. Ich möchte einer Straße folgen, die nur in eine Richtung führt, aber niemals zurück.
    Ein erschrockener Laut hinter ihr ließ Ista herumfahren. Eine ihrer Zofen stand auf dem Söller und blickte sie aus weit aufgerissenen Augen an, die Hand vor Schreck vor den Mund gehoben. Sie war immer noch außer Atem von dem Aufstieg über die Treppen und lächelte mit unaufrichtiger Fröhlichkeit. »Herrin, ich habe Euch überall gesucht. Wollt … wollt Ihr nicht von der Brüstung zurücktreten …«
    Ista lächelte spöttisch. »Beruhigt Euch. Ich habe nicht vor, noch heute den Göttern von Angesicht zu Angesicht gegenüberzutreten.« Weder heute noch irgendwann sonst. Nie wieder. »Die Götter und ich, wir stehen nicht auf gutem Fuße.«
    Ista ließ sich von der Zofe am Arm fassen und wie zufällig die Zinnen entlang und zur Treppe geleiten. Ista fiel auf, dass ihre Begleiterin sorgsam darauf achtete, zwischen ihrer Herrin und dem Abgrund zu bleiben. Beruhige dich, Frau. So sehr reizen die Pflastersteine im Hof mich nun auch nicht.
    Aber die Straße reizt mich.
    Diese Erkenntnis überraschte Ista, erschreckte sie beinahe. Der Gedanke war neu für sie. Ein neuer Gedanke, in meinem Kopf? Ihre alten Gedanken wirkten so stumpf und abgenutzt wie eine Strickarbeit, die immer wieder neu geknüpft und aufgeribbelt worden war, bis die Fäden ausfransten. Was sollte sie auf der Straße? Straßen waren für junge Männer, nicht für Damen mittleren Alters. Der arme Waisenjunge schnürt sein Bündel und folgt der Straße, um sein Glück zu suchen … Tausend Geschichten nahmen so ihren Anfang. Sie war nicht arm, und sie war kein Junge, und ganz gewiss hatte sie schon jedes Un glück erlitten, das Leben und Tod ihr bereiten konnten. Immerhin bin ich nun Waise. Ist das nicht Grund genug, die Reise anzutreten?
    Sie bogen von der Brustwehr ab und hielten auf den runden Turm zu, in dem eine schmale Wendel treppe hinunter in den Innenhof und den Garten führ te. Ista warf einen letzten Blick auf das struppige Buschwerk und die verkümmerten Bäume, die bis hinauf zur Blendwand der Burg wucherten. Ein Pfad führte aus einem flachen Einschnitt heraus; gerade zerrte ein Dienstbote einen mit Feuerholz beladenen Esel diesen Pfad bis zur Seitenpforte hinauf.
    Im immer noch kahlen Rosengarten ihrer verstorbenen Mutter wurde Ista langsamer und widersetzte sich dem Drängen ihrer Zofe. Störrisch ließ sie sich auf einer Bank nieder. »Ich bin müde«, sagte sie. »Ich will hier eine Zeitlang Rast machen. Bringt mir Tee.«
    Sie sah, wie die Zofe ihre hochwohlgeborene Schutzbefohlene besorgt und misstrauisch musterte. Ista erwiderte die Blicke kalt. Schließlich machte die Zofe einen Knicks. »Sofort, Herrin. Ich werde einem der Mädchen Bescheid geben. Ich bin gleich wieder zurück.«
    Davon gehe ich aus. Ista wartete gerade so lange, bis die Zofe um die Ecke des Bergfrieds verschwand. Dann hielt sie rasch auf die Seitenpforte zu.
    Dort ließ die Wache soeben den Dienstboten und seinen Esel ein. Hoch erhobenen Hauptes schritt Ista an ihnen vorbei, ohne sich noch einmal umzublicken. Hinter ihr ließ der Posten ein unsicheres »Majestät …?« vernehmen, doch Ista gab vor, nichts zu hören, und marschierte forsch den immer steileren Pfad hinab. Im Vorübergehen verfingen sich Ge strüpp und Sträucher im nachschleifenden Saum ih rer Röcke und in ihrer bauschenden, schwarzsamtenen Marlotte. Sie griffen nach ihr wie Hände, die sie zurückzuhalten wollten. Als sie unter den ersten Bäumen außer Sicht war, schritt Ista schneller aus, bis sie fast rannte. Als kleines Mädchen war sie auf diesem Weg häufiger hinunter zum Fluss gelaufen. Bevor sie irgendjemandes irgendetwas wurde.
    Als sie

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