Paladin der Seelen
schließlich Wasser zwischen dem Bewuchs hindurchschimmern sah, war sie erschöpft und zit ter te. Sie bog ab und wanderte am Ufer entlang. Der Weg verlief immer noch so, wie sie es in Erinnerung hatte, und führte zu dem alten Steg, über den Fluss hinweg und dann wieder aufwärts bis zu einer der Hauptstra ßen, die sich um den Hügel herum nach Valenda wanden – oder fort von der Stadt.
Die Straße war schlammig und von Hufspuren zernarbt; vielleicht war eben erst die Reisegruppe ihres Bruders hier durchgekommen, auf dem Weg zur Residenz in Taryoon. Während der beiden vo rangegangenen Wochen hatte der Herzog beinahe unab lässig versucht, Ista zur Mitreise zu bewegen. Er hat te ihr Zimmer und Zofen in seinem Palast versprochen, unter seiner wohlwollenden und fürsorglichen Aufsicht – als hätte sie hier nicht Zimmer und Zofen und aufdringliche Aufmerksamkeit genug. Sie wandte sich in die entgegengesetzte Richtung.
Trauerkleider und seidene Pantoffeln waren nicht die geeignete Garderobe für die Landstraße. Die Rö cke rauschten um ihre Beine, als ging sie durch tiefes Wasser, und Schlamm saugte sich am leichten Schuhwerk fest. Die Sonne stieg immer höher, und die Wärme staute sich im dicken Samt auf Istas Rücken, bis sie schließlich ganz undamenhaft schwitzte. Sie fühlte sich immer unwohler, kam sich immer närrischer vor. Was für eine Verrücktheit! Genau das richtige Verhalten, um in einem Turm eingesperrt zu werden, in der Gesellschaft geistloser Zofen. Hatte sie davon nicht für ihr Lebtag genug gehabt? Sie besaß keine Kleidung zum Wechseln, keine Pläne und kein Geld, nicht einmal einen Kup fer-Vaida. Sie tastete nach den Edelsteinen an ihrer Halskette. Das war Geld. Ja, und viel zu viel. Wie sollte sie in einer Kleinstadt einen Geldwechsler finden, der einen solchen Wert in Münzen auszahlen könnte? Diese Edelsteine waren keine Reisekasse; sie waren eher eine lockende Beute für Straßenräuber.
Sie hörte, wie ein Karren sich näherte und blickte von den Pfützen zu ihren Füßen auf, zwischen denen sie sich ihren Weg suchte. Ein Bauer lenkte einen stämmigen Ackergaul und fuhr eine Ladung gut abgelagerten Dung zu seinen Feldern. Jetzt starrte er verblüfft auf die Erscheinung, die ihm hier auf der Straße entgegenkam. Ista erwiderte seinen Blick mit einem majestätischen Kopfnicken – was sonst blieb ihr übrig? Fast hätte sie laut aufgelacht, unterdrückte jedoch die unziemliche Lautäußerung und ging weiter. Sie blickte nicht zurück. Sie wagte es nicht.
Noch mehr als eine Stunde lang wanderte sie wei ter und zerrte die ganze Zeit die Schleppe ihrer schwe ren Kleider hinter sich her, bis ihre Beine schließlich zu geschwächt waren und sie zittrig stehen blieb. Sie hätte weinen können vor Enttäuschung. Es geht einfach nicht. Ich weiß nicht, wie ich es anstellen soll. Ich habe es nie gelernt, und jetzt bin ich zu alt dafür.
Wieder hörte sie Hufschlag, galoppierende Pferde und einen Ruf. Blitzartig kam Ista zu Bewusstsein, dass ihr nicht nur jegliche Ausstattung für die Reise fehlte, sondern auch eine Waffe zur Verteidigung. Sie besaß nicht einmal ein Messer. Doch als sie daran dachte, sich gegen einen Angreifer zur Wehr zu setzen, egal mit welcher Waffe, schnaubte sie verächtlich. Es wäre ein kurzer Auftritt, nicht wert, auch nur einen Gedanken an daran zu verschwenden.
Sie blickte über die Schulter zurück und seufzte erleichtert. Ser dy Ferrej und ein Reitknecht eilten mit hämmernden Hufen hinter ihr die Straße entlang, dass der Schlamm nach allen Seiten spritzte. Immerhin, dachte sie, war sie noch nicht dumm oder verrückt genug, sich zu wünschen, es wären Räuber gewesen. Genau da lag möglicherweise das Problem. Vielleicht war sie nicht verrückt genug, um ihre nicht minder verrückten Wünsche in die Tat umsetzen zu können … eine nutzlose Art von Irrsinns.
Dy Ferrej lenkte sein Pferd an ihre Seite. Als Ista sein gerötetes, verschwitztes und erschrockenes Gesicht sah, regte sich ihr schlechtes Gewissen. »Majestät!«, klagte er. »Was tut Ihr hier draußen?« Fast wäre er aus dem Sattel gefallen, so eifrig griff er nach ihren Händen und beugte sich zu ihr hinunter.
»Ich hatte die Enge der Burg satt und wollte einen Spaziergang im Freien machen, um in der Frühlingssonne ein wenig Trost zu finden.«
»Ihr seid fast fünf Meilen gelaufen, Majestät! Diese Straße ist nicht der rechte Ort für Euren Spa ziergang …«
Allerdings. Und ich bin nicht der
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