Paladin der Seelen
rechte Wanderer für diese Straße.
»Ohne Zofen, ohne Begleiter – bei allen fünf Göttern, denkt an Euren Rang und Eure Sicherheit! Und an meine grauen Haare! Ich hätte sie mir ausraufen können vor Sorge.«
»Dann muss ich Eure graue Haare um Verzeihung bitten«, sagte sie mit einer Spur aufrichtiger Reue. »Sie haben es nicht verdient, sich meiner Launen wegen grämen zu müssen. Und der Rest von Euch verdient es ebenso wenig, mein lieber dy Ferrej. Ich wollte einfach nur ein bisschen spazieren gehen.«
»Dann lasst es mich beim nächsten Mal wissen, und ich werde alles vorbereiten.«
»Ich wollte alleine sein.«
»Ihr seid die Königinwitwe von Chalion«, sagte dy Ferrej mit Nachdruck. »Ihr seid die Mutter von Königin Iselle, bei den fünf Göttern! Ihr könnt nicht einfach über die Landstraße streunen wie ein Bauernweib.«
Sie seufzte bei der Vorstellung, ein Bauernweib zu sein und nicht mehr die geplagte, gepeinigte Ista. Obwohl sie nicht daran zweifelte, dass auch Bauernweiber schlimme Schicksalsschläge erlitten und dabei viel weniger Anteilnahme erfuhren als sie. Doch es führte zu nichts, wenn sie mit dy Ferrej mitten auf der Straße darüber diskutierte. Der Reitknecht stieg ab, und Ista ließ sich auf den Pferderücken helfen. Ihre Kleider waren nicht zum Reiten gedacht und bauschten sich störend um ihre Beine, während sie mit den Füßen nach den Steigbügeln suchte. Als der Reitknecht die Zügel ergriff und Anstalten machte, ihr Pferd zu führen, blickte sie erneut missmutig drein.
Dy Ferrej beugte sich über den Sattelbaum nach vorn und umfasste tröstend ihre Hände, als er die Tränen in ihren Augen bemerkte. »Ich weiß ja«, murmelte er verständnisvoll. »Der Tod Eurer Frau Mutter war für uns alle ein großer Verlust.«
Ich habe schon vor Wochen aufgehört, Tränen um sie zu vergießen, dy Ferrej.
Vor langer Zeit hatte sie einen Eid abgelegt, nie wieder um etwas zu weinen oder zu beten. Doch während jener letzten schrecklichen Tage am Krankenbett ihrer Mutter hatten sie beide Schwüre gebrochen. Dann aber hatten sowohl Tränen wie auch Gebete ihren Sinn verloren. Ista beschloss, dem Majordomus weitere Sorgen zu ersparen und ihn nicht wissen zu lassen, dass sie um ihr eigenes Schicksal weinte, und nicht vor Kummer, sondern eher vor Zorn. Sollte er ruhig annehmen, dass sie vor Trauer außer sich war; die Trauerzeit ging vorbei.
Die letzten Wochen waren von Kummer und der Sorge um Gäste erfüllt gewesen; diese Zeit hatte dy Ferrej ebenso erschöpft wie Ista selbst. Er belästigte sie nicht mit weiteren Versuchen, ein Gespräch in Gang zu bringen, und der Reitknecht wagte nicht, sie anzusprechen. Sie saß auf dem Rücken ihres Pferdes, lauschte dem patschenden Hufschlag und beobachte te, wie die Straße unter ihr wieder aufgerollt wurde wie ein Teppich, dem die Verwendung versagt blieb. Wozu war sie noch nutze? Ista biss sich auf die Lippe und blickte starr über den auf und ab wippenden Kopf ihres Pferdes hinweg.
Einige Zeit später zuckte das Tier mit den Ohren und schnaubte. Ista blickte in die Richtung, auf die das Pferd seine Aufmerksamkeit gerichtet hatte, und entdeckte eine weitere Reiterschar, die auf einer Querstraße herankam. Es waren einige Dutzend Personen auf Pferden und Maultieren. Dy Ferrej richtete sich in den Steigbügeln auf und sah den Neuankömmlingen misstrauisch entgegen, ließ sich dann aber erleichtert zurück in den Sattel sinken. Vier Reiter in blauer Tunika und grauem Mantel ritten dem Zug als Vorhut voran – es waren Ritter vom Orden der Tochter, dessen wichtigste Aufgabe darin bestand, für die sichere Reise von Pilgern zu sorgen. Als die anderen Reiter näher herankamen, war zu erkennen, dass sowohl Männer wie auch Frauen zu der Reisegruppe zählten. Sie alle waren in die Farben ihrer jeweiligen Gottheit gehüllt, soweit ihre Möglichkeiten es zuließen; zusätzlich waren ihre Ärmel mit farbigen Bändern geschmückt, die dem angestrebten Wallfahrtsort entsprachen.
Beide Gruppen gelangten gleichzeitig an die Einmündung. Dy Ferrej und die Ordensritter nickten einander grüßend zu. Es waren ebenso unerschütterliche und gewissenhafte Burschen wie er selbst. Neugierig musterten die Pilger Ista und ihre dunkle, vornehme Kleidung. Eine füllige, rotwangige Frau in fortgeschrittenem Alter – sie ist gewiss nicht älter als ich – grüßte Ista mit einem fröhlichen Lächeln. Diese zögerte einen Moment; dann erwiderte sie das Lächeln und nickte
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