Palast der Stürme
Ich kenne sie nicht. Vielleicht war es einer von deinen Leuten, die es in Brand gesteckt haben, um zu verhindern, dass es den von ihnen so verhassten Menschen in die Hände fällt. Allerdings wäre das eine vergebliche Aktion gewesen, denn der Großteil der Lagerbestände wurde bereits vor einiger Zeit von dem Magazin in die Stadt gebracht. Wenn du Wert darauf legst, werde ich jedoch versuchen, die Wahrheit herauszufinden.«
Roxane schüttelte den Kopf, aber das schien er nicht zu bemerken. Seine Gewänder rauschten, als er mit steifen Schritten den Raum verließ. Sera kam über den Teppich zu ihr gelaufen und warf sich in ihre Arme. Roxane zog ihre Schwester an sich und summte dabei beruhigend.
»Ich habe hier große Angst, Roxane«, erklärte Sera und drückte damit Roxanes eigene Gefühle aus. Als Erwachsene begriff Roxane, dass sie hier gefangen waren. Sie durften außerhalb von Ahmeds Gemächern nicht im Palast gesehen werden, da dort die Rebellen ihr Hauptquartier aufgeschlagen hatten. Roxane hatte erfahren, dass die Aufständischen von Meerut den alten König um seinen Segen, um seine Zustimmung und seine Unterstützung gebeten hatten. Sie campierten nun in seinem Hof und behandelten seine herrliche Residenz mit einer dazu im Gegensatz stehenden Geringschätzung, die sie in ihrer Verzweiflung offenbar nicht einschätzen konnten. Sera hingegen war noch ein Kind, und ihre Furcht vor dieser Situation basierte auf ihrem Instinkt und ihren bisherigen Erfahrungen. Und das ängstigte Roxane mehr als ihre eigenen Zweifel. Sie beschloss, dass sie von hier weggehen mussten, sobald sie eine Möglichkeit dafür gefunden hatte.
»Sera«, begann sie. »Du musst mir versprechen, dass du mir unter keinen Umständen mehr von der Seite weichen wirst, bis das alles vorüber ist. Versprichst du mir das?« Sera schmiegte sich an sie und nickte. »Heute Abend, wenn es dunkel ist, werde ich sehen, was wir tun können, um bald nach Hause zu kommen. Aber ich will nicht, dass du etwas ohne mich unternimmst, hast du mich gehört? Du wirst warten, bis wir zusammen gehen können. Du wirst nicht mehr weglaufen, um deinen Dickkopf durchzusetzen. Hast du mich verstanden?« Wieder nickte Sera bestätigend. Roxane strich dem Mädchen über das Haar. Ihre Angst schien in den Hintergrund zu rücken, als sie sich plötzlich nichts sehnlicher wünschte, als eine Haarbürste in den Händen zu halten, um ihre Schwester frisieren zu können.
Stunden vergingen, und der Lärm der Randalierer in der Stadt drang immer noch unvermindert durch das Fenster herein. Als es dunkel wurde, kam Ahmed zurück. Er wirkte entspannter und brachte Roxane die Haarbürste, um die sie ihn gebeten hatte. Dann servierte er ihnen eine Mahlzeit auf dem niedrigen Tisch neben dem offenen Fenster. Eine Kerze in einem bunten Glasbehälter, der sie vor der Abendbrise schützte, flackerte hell.
Nach dem Abendessen setzte sich Sera auf den Boden, um ein Spiel zu spielen, das Ahmed ihr gebracht hatte. Der Schein der Kerze tanzte auf ihrem Haar und ihrer mandelfarbenen Haut. Als Roxane sich versichert hatte, dass das Mädchen beschäftigt war, fragte sie Ahmed, ob sie sich irgendwo waschen und frisch machen könne. Ahmed führte sie in einen angrenzenden Raum, in dem sich ein Standspiegel und eine Schüssel mit Wasser befanden. Als er hinausging, zog er den schweren Vorhang hinter sich vor den Türrahmen, und einen Augenblick lang stand Roxane in völliger Dunkelheit und kämpfte gegen ihre Angst an.
Schließlich fasste sie sich und sah sich um. In dem kleinen Raum befand sich weder ein Fenster noch eine weitere Tür. Roxane ging an der Wand entlang durch die Kammer, wobei sie vorsichtig darauf bedacht war, nicht an die Möbel zu stoßen, bis sie sich wieder vor dem Spiegel und der Waschschüssel befand. Nebenan hörte sie Sera fröhlich quietschen. Beruhigt wusch Roxane sich das Gesicht und zog dann ihr Kleid über den Oberkörper bis zur Taille, um in dem düsteren Licht ihre Verletzungen zu betrachten. Irgendjemand hatte sich sorgfältig darum gekümmert. Sie dachte an die notwendigen Vorsichtsmaßnahmen und schloss daraus, dass nur Ahmed das für sie getan haben konnte. Obwohl ihr klar war, dass es keine andere Möglichkeit gegeben hatte, errötete sie und bedeckte rasch ihren Körper, bevor sie ihr Haar vor dem Spiegel bürstete. In der Dunkelheit reflektierte der Spiegel ihre Augenfarbe nicht, und mit ihrem dunklen, frisch gebürsteten Haar sah sie aus wie eine
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