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Palast der Stürme

Palast der Stürme

Titel: Palast der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alyssa Deane
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weiter Ferne. Ihre Angst und Verwirrung traf sie bis ins Herz, und sie fühlte mit den Kindern, die sich mit weit geöffneten Augen furchtsam umsahen. In diesem Augenblick spürte sie plötzlich Kraft in sich aufsteigen. Sie trat einen Schritt zurück und wandte sich dem Mann zu, der gerade auf sie und zwei Kinder an ihrer Seite zukam. Ohne weiter darüber nachzudenken, holte sie aus und schlug den Meuterer mit einem blitzschnellen Haken, der Harry Grovsner bekannt vorgekommen wäre, nieder. Auch dem Mann, der neben ihm stand, versetzte sie einen Schlag, bevor sie die zwei kleinen Jungen hinter ihren Rock schob. Aus irgendeinem Grund verlor sie ohne Vorwarnung das Gleichgewicht. Mit dem merkwürdigen Gefühl, dass jemand sie gestoßen hatte, stürzte sie auf den Boden und dachte dabei an ihren Vater. Sie fragte sich, ob er, wenn sie nicht mehr auf dieser Erde war, wissen würde, dass sie ihn immer noch von Herzen geliebt hatte.

21
    Das Geräusch klang, als sei jemandem furchtbar übel. Erst als Roxane wieder ganz zu sich kam und spürte, dass zwei Hände ihren Kopf über die kreisrunde Öffnung einer Porzellanschüssel hielten, begriff sie, dass sie diese Person war.
    »Besser?«
    Die Stimme klang vertraut und erinnerte sie an bessere Zeiten, an Fröhlichkeit und Normalität, aber trotzdem antwortete sie nicht. Der Mann erhob sich von der Matratze, wo er neben ihr gesessen hatte, und ging zum Fenster hinüber. Grelle Sonnenstrahlen fielen in den Raum und verbreiteten schattenloses mittägliches Gleißen. Das Licht schmerzte in ihren Augen.
    Sie warf einen kurzen Blick auf die Silhouette des Mannes in der formlosen Kleidung am Fenster und schloss die Augen. Bevor sie wieder in ein dunkles, stilles Meer eintauchte, wischte sie sich mit einer schwachen Handbewegung den Mund ab.
    Als sie wieder aufwachte, erkannte sie im Gegensatz zu vorher sofort, dass sie es war, die im Schlaf heiße, salzige Tränen geweint hatte.
    Roxane fuhr sich mit der Hand über die Augen und richtete sich mühsam auf dem Bett auf. Dann stolperte sie blindlings zum Fenster. Als sie sich vorbeugte, schoss eine Hand aus dem Schatten des Fensterrahmens und schloss sich um ihren Arm.
    »Geh nicht zu nah ans Fenster«, sagte Ahmed. »Man darf dich nicht sehen.«
    Roxane blieb gehorsam stehen und reckte in gebührender Entfernung ihr Kinn dem Sonnenlicht entgegen. Sie schluckte, aber ihre Kehle war wie zugeschnürt, und sie hatte das Gefühl, ersticken zu müssen.
    »Sind sie alle tot?«, brachte sie schließlich hervor. »Sind die Menschen, mit denen ich diesen dunklen Ort geteilt habe, alle tot?«
    Er schwieg lange Zeit, was eigentlich bereits eine Antwort war. Roxane hörte das Rascheln seines Gewands, als er vom Stuhl aufstand. Er trat neben sie in das Sonnenlicht und starrte in den Garten unter ihnen.
    »Sind sie tot?«, fragte sie noch einmal.
    Sein Profil, das sehr dem seines Großonkels glich, war so starr, als wäre es aus Mahagoniholz geschnitzt. Als er sich ihr zuwandte, sah sie für einen winzigen Moment einen Ausdruck in seinen Augen, der sie beinahe vor Angst erschaudern ließ. Er war so schnell verschwunden, wie er sich gezeigt hatte, doch sie war bereits instinktiv einen Schritt zurückgetreten.
    Falls er ihre Bestürzung bemerkt hatte, ließ er es sich nicht anmerken. Er drehte sich um und ging in die Mitte des Zimmers.
    »Sie sind gestorben«, sagte er leise, ohne sie anzusehen. »Sie wurden mit dem Schwert erschlagen.«
    »Selbst die Kinder?«
    »Ja, selbst die Kinder«, erwiderte er nach einer kurzen Pause.
    Roxane überlief ein Schauder, und sie ging mit unsicheren Schritten zu dem Stuhl, auf dem er gesessen hatte. Nachdem sie sich gesetzt hatte, legte sie den Kopf in die Hände und atmete zitternd ein. Jetzt bemerkte sie, dass sie anstelle ihres Kleids ein Gewand aus bunter Seide anhatte, wie die einheimischen Frauen sie trugen. Sie fragte sich, wer ihr das schmutzige, zerrissene Kleid ausgezogen hatte, während sie bewusstlos gewesen war, und ihr dann saubere Sachen übergestreift hatte, doch dann beschloss sie, dass das keine Rolle spielte.
    »Kann … kann ich etwas zu trinken haben?«
    Wortlos reichte Ahmed ihr einen Becher. Sie hob ihn an die Lippen und nippte an der Flüssigkeit, die so süß und dick war, dass es sie würgte. Einen Augenblick lang hielt sie den Becher in den Händen, fuhr mit den Daumen über das punzierte Silber und kämpfte gegen die aufsteigende Übelkeit an.
    »Wie kam es, dass ich verschont wurde?«,

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