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Paloma

Paloma

Titel: Paloma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Dannenmann
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Finger über Palomas Gesicht, als ob er es sich noch einmal ganz fest einprägen wollte.
     

Dritter Teil
     
    PALOMA
    1987/88
     
    Mittlerweile war es Oktober geworden, aber die Sonne brannte noch immer, als ob der Sommer dieses Jahr nicht zu Ende gehen wollte. Die Tage waren jedoch schon merklich kürzer und noch eine Veränderung hatte eingesetzt, erst fast unmerklich, dann umso einschneidender. Eine Veränderung, die nun für alle Zeiten den Lebensrhythmus der Inselbevölkerung bestimmen sollte: Ende und Beginn der Touristensaison. Für dieses Jahr war der Spuk vorbei, die letzten Touristen aus dem neuen Hotel an der Playa Illetes reisten ab, und die Inselbewohner waren wieder unter sich. So ruhig und ereignislos wie früher wurde ihr Leben jedoch nicht mehr.
    Auf der Großbaustelle an der Cala des Mortes wurde weiter mit Hochdruck gearbeitet. Bereits im kommenden Frühjahr sollten erste Teile der Anlage eröffnet werden. Die neuen Bars und Restaurants, hauptsächlich in Monforte, mussten jedoch schließen, da ihnen nun die Gäste fehlten. Die Inhaber kümmerten sich um ihre Bücher und Konten und mussten schließlich feststellen, als sie ihre finanzielle Lage überblickten, dass sie nicht gerade erfreulich war. Jedenfalls drehten sich alle Gespräche in der Bar El Centro oder wo auch immer die neuen Bar- und Restaurantbesitzer zusammen kamen, hauptsächlich um die Peseten, die ihnen fehlten. Und alles jammerte über die Bankkredite und die hohen Zinsen, die den Winter über weiterlaufen würden, ohne dass eine einzige Pesete hereinkam. Denn kaum einer hatte sein Geschäft ohne Hilfe der Bank eröffnen können. Einigen stand das Wasser bis zum Hals und ihnen blieb nichts anderes übrig, als aufs Festland zu gehen und sich Arbeit zu suchen, um den Winter zu überstehen. Aber viele suchten vergeblich, denn jetzt in der Nachsaison waren auch die Arbeitsplätze auf dem Festland rar.
    Denjenigen, die den Sommer über in einem der Restaurants oder in dem neuen Hotel gearbeitet hatten, ging es vergleichsweise besser. Wegen der niedrigen Löhne und der ständig steigenden Preise für Lebensmittel hatten auch sie keine nennenswerten Rücklagen bilden können, aber sie konnten mit Geld aus der Arbeitslosenunterstützung rechnen und ließen in der Zwischenzeit in den beiden neuen Supermärkten anschreiben. Dennoch wandten sich die meisten eher halbherzig wieder der Arbeit auf dem Hof oder den Feldern zu. Lieber saßen sie in der Bar El Centro und stellten Prognosen auf für die nächste Saison. Niemand wusste so recht, woher die schwindelerregend hohen Zahlen stammten, die über die Insel geisterten. Dennoch waren selbst die schlimmsten Skeptiker irgendwann davon überzeugt, dass im kommenden Sommer tausende von Touristen auf die Insel kommen und hunderttausende von Peseten dalassen würden.
    Auch Paloma bekam das Ende der Saison zu spüren. Die alte Antonia, die jeden Tag mit einem Korb voller Pullover aus Schafswolle auf der Plaza Consistorial gesessen war, verkaufte nun keine mehr.
    Paloma ging es jedoch weitaus besser als den meisten. Sie hatte fast ihre gesamten Einnahmen auf die Seite legen können. Und wenn es auch nicht viel war, so war sie doch stolz auf das erste selbstverdiente Geld. Sie bewahrte es in einer alten Keksdose auf, da sie nicht vorhatte, es zur Bank zu bringen. Sie wollte mit dem Geld ihre kleine Pulloverproduktion vergrößern, so wie die alte Antonia ihr geraten hatte. Da die Wolle ihrer eigenen Schafe dafür nicht ausreichte, wollte sie so viel Schafswolle wie möglich in der Nachbarschaft aufkaufen und den ganzen Winter über tüchtig für die kommende Saison stricken.
    Eines Tages, als sie gerade den Schweine-Corral ausmistete und sich aufrichtete, um eine lose Haarsträhne festzustecken, sah sie plötzlich in der Ferne einen Mann auf das Haus zukommen. Die Sonne stand ihm im Rücken, sodass nicht viel mehr als seine Umrisse zu erkennen waren. Paloma durchfuhr dennoch ein freudiger Schreck. Einen wunderbaren Augenblick lang glaubte sie, Philipp sei wiedergekommen. Sie legte die Forke weg, kletterte über das Gatter, anstatt es erst umständlich zu öffnen und lief auf ihn zu.
    Im Näherkommen stellte sich jedoch heraus, dass sie sich geirrt hatte. Der Mann, der auf das Haus zuging, war nicht Philipp sondern ihr Bruder Mariano. Ihre Schritte wurden langsamer. Sie erinnerte sich plötzlich wieder daran, dass sonst nicht sie, sondern die Mutter Mariano entgegen gelaufen war. Und daran, wie jung

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