Pamuk, Orhan
die
boshafterweise die Vollendung von Vaters Buch verhindern möchten, aber damit
will ich dir jetzt nicht deinen Verstand verwirren, der ohnehin schon
verwirrter ist als der meine.«
»Dein Verstand ist keineswegs
verwirrt«, stellte Kara fest.
»Weil das nicht meine Überlegungen
sind, sondern Dinge, die ich jahrelang mit meinem Vater besprochen und von ihm
gelernt habe«, sagte ich, damit er nicht glaubte, dies alles entspringe meinem
Frauenverstand, und sich überzeugen ließ von meinen Worten.
Kara sprach aus, was alle Männer,
die mich für klug halten, mir offen ins Gesicht sagen würden, wenn sie könnten:
»Du bist sehr schön.«
»Ja«, sagte ich, »das Lob meiner
Klugheit gefällt mir sehr. Mein Vater hat mich oft gelobt, als ich noch klein
war.«
Doch nachdem ich herangewachsen war,
hörte er auf, meine Klugheit zu loben, wollte ich noch sagen, aber da kamen mir
die Tränen. Während ich weinte, schien ich mein Selbst zu verlassen und eine
andere, abgetrennte Frau zu werden, und wie der Leser, der auf einer Buchseite
ein trauriges Bild betrachtet und bekümmert ist, so sah ich mein Leben von
außen und hatte Mitleid mit mir selbst. Den eigenen Kummer wie den anderer
Menschen zu beweinen hatte etwas so Reines an sich, daß wir von Herzenswärme
erfüllt wurden, als Kara mich umarmte. Doch diesmal blieb die Herzenswärme, als
wir uns umarmten, zwischen uns beiden und konnte die Welt der uns umgebenden
Feinde keineswegs erreichen.
33
Mein Name ist Kara
Als die leidgeprüfte Witwe und Waise Şeküre
federleichten Schrittes das Haus des gehenkten Juden verließ, blieb ich von
ihrem Mandelduft und meinen Eheträumen benommen in der Stille zurück. Mir
schwirrte der Kopf, doch zugleich arbeitete mein Verstand mit einer fast
schmerzhaften Geschwindigkeit. Dann lief auch ich so rasch wie möglich nach
Haus zurück, ohne den Tod meines Oheims gebührend betrauern zu können.
Einerseits fraß der Zweifel an mir, ob Şeküre ihr Spiel mit mir trieb und
mich als Teil eines großen Komplotts mißbrauchte, andererseits wollten die
glücklichen Eheträume vor meinen Augen nicht weichen.
Nachdem ich meine Hausbesitzerin,
die mich auf der Türschwelle nach dem Wohin und Woher zu dieser frühen Morgenzeit
ausfragen wollte, in die Schranken gewiesen hatte, holte ich in meiner Zimmer
zweiundzwanzig venezianische Goldstücke aus meinem in der Matratze versteckten
Schärpe heraus und tat sie mit zitternden Fingern in meinen Geldbeutel. Wieder
draußen auf der Straße, wußte ich sogleich, daß mir die feuchten, traurigen
schwarzen Augen Şeküres den ganzen Tag nicht aus dem Kopf gehen würden.
Als erstes tauschte ich fünf der
venezianischen Löwen bei einem unaufhörlich lächelnden jüdischen Geldwechsler
ein. Dann kehrte ich gedankenvoll in die Straßen des Viertels zurück, dessen
Namen ich nie gemocht und deshalb bisher nicht genannt habe (ich tue es jetzt:
Jakuten), wo mein toter Oheim, Şeküre und ihre Kinder auf mich warteten.
Während ich eilig durch die Straßen lief, schaute eine hohe Platane auf mich
herab, weil ich am Todestag meines Oheims von wundervollen Eheträumen und
Plänen erfüllt und außer mir vor Freude war. Unterdessen sprach der Brunnen des
Viertels zu mir, der nach dem Schmelzen des Eises vor sich hin zischte: »Keine
Sorge, ordne deine Angelegenheiten, und sieh zu, daß du glücklich wirst!«
»Schön und gut«, krallte sich eine unheilvolle schwarze Katze in meinen
Gedanken fest und leckte sich dann in einem Winkel das Fell. »Jeder hat dich
im Verdacht, daß du in den Mord an deinem Oheim verwickelt bist, sogar du
selbst!«
Die Katze ließ das Lecken sein, und
plötzlich trafen ihre magischen Augen die meinen. Ihr wißt, wie anmaßend die
Katzen von Istanbul sind, weil die Einwohner sie verwöhnen.
Ich fand den Imam Efendi, der durch
seine halbgesenkten Lider über den riesigen schwarzen Augen stets wie schläfrig
wirkte, nicht zu Hause, sondern im Hof der Moschee des Viertels an, und hob bei
seiner Antwort auf die häufig gestellte und von ihm auf hochmütige Weise
beantwortete juristische Frage, wann die Zeugenschaft vor Gericht notwendig
sei und wann sie aus freien Stücken erfolge, die Augenbrauen, als hörte ich sie
zum erstenmal. Sind mehrere Zeugen bei einem Vorkommnis anwesend, so ist die
Zeugenschaft freiwillig, eröffnete mir der Imam Efendi, doch bei nur einem
einzigen Anwesenden sei es ein Gebot Allahs, als weiterer Zeuge aufzutreten.
»Gerade das ist meine Sorge«,
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