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Pamuk, Orhan

Pamuk, Orhan

Titel: Pamuk, Orhan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rot ist mein Name
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noch blutrote Rahmenlinien um das Bild herum
zum Ausdruck bringen. Ich hastete durch die Menge der anderen Männer, die sich
vor dem Tor des Kadis angesammelt hatten und ihre Schwestern und Töchter mit
falschen Zeugen zu Witwen erklären lassen wollten, und trat den Rückweg an.
    Nach der Fahrt über den Bosporus
machte ich mich geradewegs zum Jakuten-Viertel auf und trennte mich von dem
verständnisvollen, auch gern zur Trauung bereiten Imam und seinem Bruder. Da
mir sogleich klar war, daß jeder, den ich auf der Straße traf, mich um das mir
bevorstehende unglaubliche Glück beneidete und dabei war, hinter meinem Rücken
Intrigen zu spinnen, lief ich rasch zur Straße meiner Şeküre. Woher aber
wußten die Unglücksboten, die Krähen, daß ein Toter im Haus lag, so daß sie
munter auf den Dachziegeln herumhüpften? Daß ich um meinen Oheim nicht gehörig
trauern, ja, nicht einmal Tränen vergießen konnte, drehte mir das Herz im Leibe
um, doch an den festverschlossenen Fensterläden und Türen des Hauses, an der
Stille, ja, an dem Granatapfelbaum sogar erkannte ich sogleich, daß alles dort
seine Richtigkeit hatte.
    Ihr habt unterdessen schon bemerkt,
wie sehr mich meine Gefühle zu übereiltem Handeln trieben. Ich hob einen Stein
vom Boden auf, warf ihn gegen das Hoftor und verfehlte es! Den nächsten Stein
warf ich gegen das Haus, und er traf das Dach. Ich ließ voller Wut Steine auf
das Haus hageln, als ein Fenster aufging. Es war jenes im Obergeschoß, an dem
ich vier Tage zuvor, am Mittwoch, Şeküre durch die Zweige des Granatapfelbaumes
zum ersten mal wiedergesehen hatte. Jetzt zeigte sich Orhan dort, und durch
die Zwischenräume des Fensterladens hörte ich Şeküres Stimme, die Orhan
schalt, dann sah ich sie selbst. Meine Liebste und ich tauschten einen kurzen,
erwartungsvollen Blick miteinander. Wie schön, wie anmutig! Sie machte ein
Zeichen, das »Warte!« bedeuten konnte, und schloß das Fenster.
    Es war noch lange hin bis zum Abend;
ich wartete, von Zuversicht erfüllt, in dem kahlen Garten und bewunderte die
Schönheit der Welt, der Bäume, der schlammigen Straße. Bald darauf kam Hayriye
heraus, nicht wie eine Sklavin, sondern wie eine Dame gekleidet und
verschleiert. Wir zogen uns hinter die Feigenbäume zurück, ohne uns einander
zu nähern.
    »Alles ist in Ordnung«, sagte ich
und zeigte ihr das Urteil des Kadis. »Şeküre ist geschieden. Jetzt werde
ich im nächsten Viertel einen Imam ...« finden, wollte ich sagen, kürzte jedoch
ab: »Der Imam kommt, Şeküre soll sich bereit halten.«
    »Şeküre wünscht sich einen wenn
auch noch so kleinen Brautzug, die Nachbarn sollen ins Haus kommen und am
Hochzeitsschmaus teilnehmen. Wir haben einen Kessel Pilaw mit Mandeln und getrockneten
Aprikosen zubereitet.«
    Womöglich hätte sie lustvoll noch
all die weiteren Speisen aufgezählt, die sie gekocht hatten, doch ich schnitt
ihr das Wort ab: »Soviel Umstände bei der Hochzeit zu machen wird nur Hasan
und seine Leute herbeirufen, sie werden während der Feier gewaltsam eindringen,
einen Skandal verursachen, die Trauung für ungültig erklären, und wir können
nichts dagegen tun. Alle Mühe wird umsonst gewesen sein. Und wir müssen uns
nicht nur vor Hasan und dem Schwiegervater hüten, sondern auch vor dem Teufel,
der meinen Oheim Efendi umgebracht hat. Fürchtet ihr euch denn nicht?«
    »Und ob wir uns fürchten!«
erwiderte sie und begann zu weinen.
    »Ihr dürft niemandem etwas
erzählen«, riet ich. »Zieht dem Oheim ein Nachthemd über, legt ihn wie einen
Kranken ins Bett, nicht wie einen Toten, stellt Gläser und Heiltränke an seiner
Seite auf und schließt den Fensterladen. Es sollte auch keine Lampe in seinem
Zimmer stehen, so daß Şeküres Vater bei der Trauung ihr Vormund sein kann.
Ein Brautzug ist unmöglich, im letzten Augenblick könnt ihr ein paar Nachbarn
zusammenrufen. Und bei der Einladung erklärt ihr ihnen, dies sei der letzte
Wille des Oheim Efendi – es wird keine glückliche, sondern eine tränenreiche
Hochzeit werden. Wenn wir uns dieser Sache nicht gewachsen zeigen, wird man
uns auseinanderbringen und auch dich bestrafen. Begreifst du das?«
    Sie nickte weinend. Ich würde jetzt
mein weißes Pferd besteigen, erklärte ich, die Zeugen holen und sehr bald
wiederkommen. Şeküre solle sich bereit halten, von nun an würde ich der
Herr des Hauses sein und eben noch den Barbier aufsuchen. All das fiel mir
während des Redens ein, es war keineswegs vorher geplant, und wie ich

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