Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pamuk, Orhan

Pamuk, Orhan

Titel: Pamuk, Orhan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rot ist mein Name
Vom Netzwerk:
in dem des anderen nicht. Ist Allah mit deiner Malkunst
zufrieden, dann gewährt er dir Seine eigene herrliche Dunkelheit, damit du Ihm
nahe sein kannst. Dann erblickst du nicht mehr diese elende Welt, sondern die
wundervollen Landschaften, die Er sieht. Ist er aber unzufrieden mit deinem
Werk, dann wirst du weiterhin so sehen wie bisher.«
    »Das wahre Kunstwerk werde ich im
Lande Indien schaffen«, sagte ich. »Das Bild, an dem Allah mich messen wird,
habe ich noch nicht gemalt.«
    »Klammere dich nicht zu sehr an die
Vorstellung, du könntest den fränkischen Methoden entkommen«, sagte Kara.
»Weißt du, daß Chan Akbar alle Illustratoren ermutigt, ihre Bilder zu signieren?
Die portugiesischen Jesuitenpater haben das fränkische Bild und seine Methoden
schon längst dort hingebracht. Sie sind jetzt überall zu finden.«
    »Für den, der rein bleiben will,
gibt es stets etwas zu tun und einen Ort der Zuflucht«, erklärte ich.
    »O ja«, meinte Storch. »Er kann
blind werden und in nicht vorhandene Länder fliehen.«
    »Warum willst du rein bleiben?«
fragte Kara. »Bleib hier so wie wir und mische dich unter das, was hier ist.«
    »Sie werden ihr ganzes Leben lang
die Franken imitieren, um einen persönlichen Stil zu erwerben«, sagte ich. »Und
weil sie die Franken imitieren, werden sie nie einen persönlichen Stil
besitzen.«
    »Dagegen kann man nichts mehr tun«,
erklärte Kara schändlicherweise.
    Sein ganzes Glück war natürlich die
schöne Şeküre, nicht das Illustrieren. Ich zog die blutige Spitze des
Dolches aus Karas blutender Nase und hielt ihn über seinen Kopf wie der Henker
das Schwert vor der Enthauptung.
    »Ich könnte dir jetzt den Kopf
abschlagen«, kündigte ich an, was offenkundig war. »Doch um Şeküres Glück
und des Glücks ihrer Kinder willen werde ich dich verschonen. Behandle sie gut,
sei nicht brutal und unverständig zu ihr, versprich es mir!«
    »Ich verspreche es«, sagte er.
    »Somit überlasse ich dir Şeküre«,
sagte ich.
    Doch mein Arm tat das Gegenteil
dessen, was mein Mund gesprochen hatte. Mit voller Wucht stach der Dolch auf
Kara ein.
    Die Waffe traf jedoch nicht seinen
Hals, sondern seine Schulter, weil er sich im letzten Augenblick bewegte und
ich die Stoßrichtung änderte. Und ich blickte erschrocken auf das, was mein Arm
ganz von selbst angerichtet hatte. Die Stelle im Fleisch, aus der ich den Dolch
herauszog, rötete sich zu einem reinen Karmesin. Ich empfand sowohl Furcht als
auch Scham über meine Tat. Doch ich wußte auch, daß keiner von meinen
Buchmalergefährten an meiner Seite sein würde, um Rache zu nehmen, wenn ich in
nicht allzu ferner Zeit vielleicht auf einem Schiff in der Arabischen See blind
wurde.
    Storch flüchtete in der berechtigten
Furcht, daß die Reihe an ihm sein könnte, in die dunklen Räume im Inneren des
Konvents. Mit meinem Schatten und der Lampe in der Hand ging ich ihm nach, kam
aber bald furchterfüllt zurück. Das letzte, was ich hier noch zu tun hatte,
war, Schmetterling zu küssen und von ihm Abschied zu nehmen. Weil aber der
Geruch von Blut zwischen uns war, konnte ich ihn nicht so von Herzen küssen,
wie ich es gern getan hätte. Doch er sah, daß mir die Tränen aus den Augen
liefen.
    Ich verließ den Derwischkonvent in
einer todesähnlichen Stille, die nur von Karas Stöhnen unterbrochen wurde. In
höchster Eile entfernte ich mich aus dem nassen, morastigen Garten und dem
dunklen Viertel. Das Schiff, das mich zu Chan Akbars Buchmalerwerkstatt
bringen sollte, würde nach dem Morgengebet in See stechen, und ein Ruderboot,
vom Galeerenhafen kommend, würde sich ihm dann ein letztes Mal nähern. Mir
liefen die Tränen aus den Augen, während ich rannte.
    Als ich still und leise wie ein Dieb
durch Aksaray schlich, erkannte ich am Horizont das erste ungewisse
Tageslicht. Gegenüber dem ersten Brunnen, der nach dem Durchqueren kleiner
Gassen und enger Durchgänge mit hohen Mauern vor mir auftauchte, lag das
Steinhaus, in dem ich die erste Nacht nach meiner Ankunft in Istanbul vor
fünfundzwanzig Jahren verbracht hatte. Und durch das offenstehende Hoftor sah
ich wieder jenen Brunnenschacht, in den ich mich damals mitten in der Nacht
schuldbewußt hatte stürzen wollen, denn ich hatte in das Bett genäßt, das mir
als Zwölfjährigem von meinen entfernten Verwandten so liebevoll und großzügig
ausgebreitet worden war. Der Uhrmacherladen, in dem ich so oft das zerbrochene
Räderwerk meiner Uhr hatte wiederherstellen lassen, der Laden

Weitere Kostenlose Bücher