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Pamuk, Orhan

Pamuk, Orhan

Titel: Pamuk, Orhan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rot ist mein Name
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Wohlhabenheit zeugende zweistöckige Häuser errichtet worden waren.
    Wie in so mancher anderen Stadt
hatte das Geld auch in Istanbul seinen Wert ganz und gar verloren. Die
Backstuben, die zur Zeit meiner Fahrt nach Osten für einen Asper ein
riesengroßes, vierhundert Dirhem schweres Brot verkauft hatten, gaben jetzt
für das gleiche Geld lediglich ein halb so großes Brot, dessen fader Geschmack
außerdem nicht im geringsten an die Kindheit erinnerte. Wenn meine selige
Mutter erlebt hätte, daß man für ein Dutzend Eier drei Asper hergeben mußte,
wäre sie wohl der Meinung gewesen, die Hühner seien unverschämt und wir
sollten schleunigst in eine andere Gegend ziehen, bevor sie uns auf den Kopf
schissen, doch ich wußte recht gut, daß diese Münzen von minderem Wert überall
im Umlauf waren. Wie man sich erzählte, kam dieses Falschgeld kistenweise mit
den Handelsschiffen aus Holland und Venedig. Während früher in der Münzanstalt
aus hundert Dirhem Silber fünfhundert Asper geprägt wurden, hatte man nun wegen
der nicht enden wollenden Kriege gegen die Safawiden begonnen, achthundert
Asper daraus zu prägen. Die Janitscharen sollen sich empört und das Saray unseres
Padischahs wie eine feindliche Festung belagert haben, als sie sehen mußten,
daß einige Asper ihrer Löhnung ins Goldene Horn fielen und wie weiße Bohnen,
die man vom Gemüsesteg ins Meer schüttet, auf dem Wasser schwammen.
    Ein Geistlicher namens Nusret, der
in der Beyazıt-Moschee predigte und behauptete, ein Nachkomme aus dem
Geschlecht des Propheten Mohammed zu sein, hatte sich aus Anlaß der allseits
herrschenden Unmoral, der Teuerung, des Raubes und des Mordes einen großen Ruf
erworben. Sämtliche Katastrophen, von denen Istanbul in den letzten zehn Jahren
heimgesucht worden war, wie die Brände der Viertel Bahçekapı und Kazancılar,
die immer wiederkehrende Pest, die jedesmal Zehntausende von Toten in der Stadt
hinterließ, der Krieg gegen die Safawiden, der trotz seiner zahllosen Menschenopfer
bisher kein Ergebnis gebracht hatte, und im Westen die Rückeroberung kleinerer
türkischer Festungen durch aufständische Christen, all das begründete der Erzurumi genannte Prediger damit, daß man vom Wege des Propheten Mohammed
abgewichen sei, sich von den Weisungen des Korans entfernt habe, den Christen
gegenüber zuviel Nachsicht zeige, ganz offen Wein verkaufe und in den
Derwischkonventen Musik mache.
    Der Essiggemüsehändler, der
begeistert war von dem Prediger aus Erzurum und mir diese Neuigkeiten erzählte,
meinte, das Falschgeld, das überall auf den Märkten im Umlauf sei, die neuen
Dukaten, die Florinen mit Löwenbild und die Asper mit immer weniger
Silbergehalt würden den Menschen ebenso wie die alle Straßen füllenden
Tscherkessen, Abchasen, Mingrelier, Bosnier, Georgier und Armenier
unweigerlich in eine Verruchtheit treiben, von der man sich kaum mehr abwenden
könne. Liederjane und Aufrührer träfen sich in den Kaffeehäusern, zerrissen
sich die Mäuler bis zum Morgen. Kahlköpfige Halbnackte, opiumsüchtiges
Narrenvolk, die Überreste der Kalenderi-Derwische, die alle vorgaben, dies sei
der Weg Allahs, würden in ihren Konventen bis in den Morgen hinein zur Musik
tanzen, sich hier und da mit Spießen durchstechen, und nachdem sie jede Art von
Unanständigkeit begangen hätten, würden sie miteinander schlafen und es auch
mit kleinen Buben treiben.
    Ob ich den weichen Laut einer Ud
hörte und ihm nachgehen wollte oder mir der giftige Essiggemüsehändler
unerträglich wurde und mich die Wünsche und Erinnerungen genannte Wirrnis meines
Verstandes einen Ausweg spüren ließ, weiß ich nicht genau. Doch ich weiß, daß
nicht nur eure Seele, sondern auch euer Körper die Straßen einer euch am Herzen
liegenden Stadt, die ihr oft durchstreift habt, noch viele Jahre später so gut
kennt, daß eure Füße in einem Augenblick der Trauer bei dichtem, trübsinnigem
Flockenfall ganz von selbst zu einer Anhöhe gelenkt werden, die ihr liebt.
    So verließ ich den Hufschmied-Markt
und schaute gleich neben der Süleymaniye-Moschee dem ins Goldene Horn fallenden
Schnee zu: Auf den nach Norden schauenden Dächern und Kuppeln hatte sich an den
vom Nordost getroffenen Kanten und Rändern der Schnee bereits festgesetzt. Die
Segel eines einlaufenden Schiffes, so neblig bleigrau wie die Wasser des
Goldenen Horns, sandten mir beim Einholen knatternd ihre Grüße zu. Zypressen
und Platanen, der Anblick der Dächer, die wehmütige Abendstimmung,

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