Pan Tau
Aktentasche und eilte davon, um die Tränen zu verbergen, die ihm vor Ergriffenheit über die Wangen flössen.
Der Herr Lehrer begriff nicht, was geschehen war. Er sagte bloß: »Ich danke euch... Kinder...«
Seine Kehle war wie zugeschnürt. Er erinnerte sich an die Spielsachen in der Schublade.
»Ausnahmsweise... Warum bis zum Schluß des Schuljahres warten...«
Er zog aus der Schublade Andermanns Spiegel, den zerfetzten Krimi ohne Schluß, die Blech-Nachtigall, das Indianer-Stirnband, die Beatle-Fotos, die Colts und Autos hervor. Er griff in die Aktentasche, um Emil das Püppchen mit Regenschirm und Melone zurückzugeben.
»Emil!«
Er stutzte. Das Spielzeug war nicht in der Aktentasche. Die Aktentasche, die er in den Händen hielt, war voll mit Broschüren über die Notwendigkeit der Musikerziehung an Schulen der Unter- und Mittelstufe. Der Klassenlehrer klappte mit zitternden Händen die Aktentasche des Inspektors zu und lief auf den Gang hinaus.
»Ihre Aktentasche! Herr Landesschulinspektor!!!«
Verzweifelt blickte er sich um. Er lief die Stiegen hinunter. Vor der Schule blieb er stehen. Er sah nur noch das schwarze Auto des Landesschulinspektors um die Ecke biegen. Hinten lag die vertauschte Aktentasche mit dem Püppchen.
Alles war aus.
Die Wunder waren zu Ende.
Oder begannen sie wieder?
Mitten auf der Straße stand ein Herr mit Melone. Herr Radetzky hatte plötzlich das Gefühl, daß er ihn kannte, daß er ihm schon einmal begegnet war, aber er wußte nicht, wann und wo. Es schien, daß auch der Herr mit Melone den Herrn Lehrer kannte, zumindest lächelte er. Dann drehte er sich noch einmal um. Den Regenschirm trug er offen über dem Kopf, obgleich die Sonne schien.
Im fünften Kapitel enden Vivians Märchen. Tausende von Fragen. Wohin ging Pan Tau, als er Emil verließ? Traf er sich mit der rothaarigen Claudia? Wann? Und wo? Versuch einer Rekonstruktion des Falles Dampfer auf Straße oder Pan Tau und sehr viel Wasser.
»Von diesem Augenblick, da Pan Tau die Schule verließ«, sagte ich zu Vivian, »bis zu Venturas gestohlenem Karussell und dem rosa getupften Elefanten klafft eine Lücke. Was weiter geschah, wissen wir. Venedig und der Delphin Philipp. Das Flugzeug aus Venedig und Sie. Hinterm Fenster Pan Taus Rakete. Der Flugplatz in Rom, der Bürgermeister, die Gräfin di Trevi und die Drachen. Prag und der Dampfer Nautilus. Wir wissen aber nicht, was Pan Tau im Juli und August getrieben hat. Ganze zwei Monate.«
»Die Ferien«, bemerkte Vivian. Sie kroch eben auf dem Boden des Autos herum. »Die Ferien sind eine tolle Spur.«
»Welche Ferien?«
»Die Schulferien.« Vivian kroch über den Vordersitz. Sie suchte etwas. Irgendein Werkzeug vielleicht. »Schulferien und Claudia, das paßt doch zusammen, oder? — Ich sollte Ihnen eigentlich gar nicht helfen. Sie sind ein abscheulicher Egoist! Da bindet man Ihnen alles auf die Nase, was man weiß, und Sie schweigen nur. Von Prag und dem Dampfer Nautilus haben Sie mir noch kein einziges Wort erzählt. Und die Schildkröte ist auch nicht da.«
Vor uns tauchte die erste Windmühle auf. Wir waren in Holland. Ich hielt an. Wir durchsuchten das Auto. Die Schildkröte war verschwunden. Ich versprach der schluchzenden Vivian:
»Ganz Holland werde ich durchsuchen, sobald ich Fleming getroffen habe! Holland ist dreiunddreißigtausendfünfhundert Quadratkilometer groß. Ein ganz kleines Land. Eine Schildkröte irgendwo im Ural zu verlieren, wäre schlimmer.«
Sie schluchzte nicht mehr.
»Und Prag?«
Ich bemühte mich, genau zu sein.
»Über eine Million Einwohner. Vierhundertdreiundsiebzig Türme, die habe ich gezählt. Hauptstadt der Tschechoslowakei. In der Vergangenheit Sitz der böhmischen Könige.«
Aber die Türme interessierten Vivian nicht.
Auch nicht die Könige.
Sie sagte:
»Und Nautilus?«
Ich zog aus dem Handschuhfach ein dicht beschriebenes Notizbuch. Mit Rotstift hatten darin Fleming und ich alles aufgezeichnet, was wir nicht ganz genau wußten. Wir hatten es unter dieser Bezeichnung zusammengefaßt:
Vermutungen. Möglichkeiten.
Mit blauem Stift waren die Tatsachen eingetragen, die wir aus dem Verhör des Nautilus-Kapitäns Eduard Bork erfahren hatten. Blau waren auch die Notizen eines Gesprächs mit der Mutter des Jungen Kai (2 5 Jahre), mit Kais Vater (2 6 Jahre) und mit Kai selbst (5 J ahre). Er und Pan Tau kannten nämlich allein den Schlüssel zu dem Rätsel, für das Quincy, der uns eifrig im Wege war, die
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