Pan Tau
auf einmal. Acht Meter neunzig. Der Weltrekord des Amerikaners Beamon in Mexiko.
Diesmal jubelten die Mädchen vor Begeisterung.
»Toll ist er!«
»Fantastisch!«
»Und hübscher als der Braun!«
»Fast so hübsch wie der Andermann, bis auf die kürzeren Haare«, sagte die Pittermann und sah hingerissen Emil zu, der mit den anderen Jungen die Kletterstange hinaufkraxelte. Während der beiden ersten Drittel hatte er einen Vorsprung von über einem Meter. Er kam als erster oben an und kletterte wieder hinunter. Lächelnd. Andermann hatte eben erst die Decke berührt. Hinter ihm war Braun. Keiner konnte Emil mehr gefährlich werden. »Wahrscheinlich werde ich mich in ihn ver...«...lieben sprach die Pittermann nicht mehr aus.
Aus der Höhe fiel zuerst ein Püppchen mit Melone und Regenschirm, das Emil unter der Trainingsjacke versteckt gehabt hatte.
Dann Emil.
»Am Schluß des Schuljahres kannst du es wiederhaben«, sagte der Klassenlehrer und hob Emils Püppchen vom Boden auf, um es nach der Turnstunde zu den anderen beschlagnahmten Gegenständen in die Schublade zu legen. »Spielzeug gehört nicht in die Schule!« Dabei ahnte er nicht, was ihn nun erwartete. Er wunderte sich zunächst nur, was die Jungen heute so alles in die Schule mitschleppten. Cowboy-Colts? Ein Indianer-Stirnband? Na ja... Aber dieses Püppchen?
Voll Abscheu steckte er das Püppchen in die Schublade. Er wollte sie absperren. Vergeblich. Irgend etwas hatte sich in der Schublade verklemmt. Er zog sie noch einmal heraus und räumte sie um. Wieder versuchte er sie abzuschließen.
Beim drittenmal gab er es auf. Er hatte jetzt keine Zeit, die Schublade in Ordnung zu bringen. Im Park, beim Springbrunnen, wartete auf ihn ein Eichhörnchen, das er jeden Mittag mit Nüssen fütterte, und im Autobazar hinterm Park wartete sein Auto. In Wirklichkeit war es nicht sein Auto. Es war ein alter Mercedes aus dritter Hand, der dort schon ein halbes Jahr auf einen Käufer wartete. Bei Herrn Radetzky reichte es nicht einmal zu einem kleinen Fiat aus achter Hand. Er ging nun täglich hin, um dieses Auto anzuschauen, und träumte davon, daß es vielleicht eines Tages... Wenn er im Lotto... Oder wenn er...
Lehrer Radetzky ging in den Hof zum Fahrradständer.
Vivians lange Geschichte geht weiter. Pan Tau und die drei Träume des Lehrers Radetzky.
Die Fahrradklingel klingelte. Die Aktentasche schlenkerte während der Fahrt hin und her. Es war wie auf einer Schaukel. Pan Tau begann sich beim Herrn Lehrer wohlzufühlen. In der Aktentasche duftete es nach roter Tinte, nach Heften und Nußöl, aber mehr noch als nach Nußöl duftete es nach Pfefferminz und Eukalyptus. Diese beiden Düfte drangen aus einer goldverzierten Flasche, auf der geschrieben war:
Das einzige Erfo
Den Rest der Aufschrift konnte Pan Tau von seinem Platz zwischen den Heften und dem Notizbuch mit den Noten nicht sehen. Er versuchte, an den Falten der Seide, mit der die Aktentasche gefüttert war, zum Reißverschluß hinaufzuklettern. Es war nicht leicht. Das Rad holperte übers Pflaster. Als es nicht mehr holperte, sah Pan Tau endlich die fehlenden Buchstaben:
Igreiche Ha
und hörte einen traurigen Seufzer. Es war der Klassenlehrer Herr Radetzky der da so traurig seufzte. Denn er sah in der Halle des Autobazars ein neues Schild an der Windschutzscheibe des grauen Mercedes aus zweiter oder dritter Hand:
Verkauft!!
Traurig fuhr er weiter. Traurig trug er das Fahrrad in seine winzige Wohnung hinauf. Das Vorzimmer war so klein, daß er das Fahrrad an die Decke hängen mußte. Hätte er das Fahrrad einfach hingestellt, wäre er durchs Vorzimmer nicht mehr in sein Zimmer gekommen. Um das Fahrrad an die Decke zu bekommen, hatte er sich eine besondere Konstruktion ausgedacht, auf die er sehr stolz war: einen Fahrradheber.
Ein Hebelzug, und der Fahrradheber hob das Fahrrad automatisch hoch. Zog man noch einmal an dem Hebel, ließ der Fahrradheber das Fahrrad sanft zur Erde nieder.
Lehrer Radetzky betrat das kleine Zimmer seiner kleinen Wohnung. Vorsichtig stellte er die Spiegel über seiner Kakteensammlung so ein, daß alles Licht auf den Echinocactus myriostigma fiel. Von Tag zu Tag hoffte er, daß er aufblühen würde.
Der Kaktus des Direktors blühte bereits. Dienstlich gesehen, war das vollkommen in Ordnung. Herr Radetzky war bescheiden. Er wünschte sich nur, daß sein Echinocactus größere Blüten haben sollte als der des Direktors. Und schönere. Und später abfallen sollten sie auch,
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