Pandaemonia 01 - Der letzte Traumwanderer
da?«
Die Frau musterte ihn. »Bist du ein Freund von ihr?«, fragte sie in seiner Sprache.
»Ja.«
»Sie hat gerade ein Pferd weggebracht. Sie müsste gleich wieder da sein. Setz dich doch.«
Er nahm auf einer Bank unter dem Sonnensegel Platz.
»Willst du einen Apfel?«
»Gern.«
Die Manusch reichte ihm den Apfel und setzte sich neben ihn. »Ich bin Livia. Vivanas Tante.«
Liam erinnerte sich, dass Vivana jemanden mit diesem Namen erwähnt hatte. »Liam Hugnall«, stellte er sich vor.
»Sie hat noch nie von dir gesprochen. Kennt ihr euch schon lange?«
»Erst seit gestern. Ich habe sie kennengelernt, als ich ihren Vater besuchte.«
Argwohn flackerte in ihren Augen auf. »Er hat dich doch nicht hergeschickt, oder?«
»Nein«, antwortete er verwundert.
»Das will ich ihm auch geraten haben«, murmelte Livia und blickte wieder zu den Kindern, die auf dem Platz herumtollten.
Liam begann, sich unbehaglich zu fühlen. Erst der Streit zwischen Vivana und ihrem Vater, dann Quindals abfällige Bemerkungen über den Wanderzirkus - und nun das. Ganz offensichtlich herrschten zwischen Quindal und der Familie seiner verstorbenen Frau beträchtliche Spannungen.
»Sind das Ihre Kinder?«, erkundigte er sich, als ihm das Schweigen unangenehm wurde.
Livia nickte. »Das sind Tamas und Arpad. Das Mädchen heißt Dijana.«
»Vivana hat ihren Onkel erwähnt. Madalin. Ist er einer der vier, die den Wagen reparieren?«
»Ja«, antwortete sie einsilbig.
Liam fragte sich, was er tun konnte, um ihr Misstrauen zu zerstreuen. In diesem Moment fiel das Mädchen hin und fing an zu brüllen. Livia seufzte. »Entschuldige mich«, sagte sie und nahm das Kind auf den Arm. Es hatte sich das Knie aufgeschlagen und blutete. Livia strich ihm tröstend über das Haar, während sie es zu einem der Wagen trug. Froh darüber, dass diese seltsame Unterhaltung beendet war, aß Liam seinen Apfel.
Wenig später tauchte Vivana auf. Sie hielt ein Pferd am Zügel und trug denselben bunten Rock wie gestern. Das kastanienbraune Haar hatte sie zu einem Zopf zusammengebunden. Eine einzelne Strähne fiel ihr auf die Wange.
Liam fand sie noch hübscher als gestern.
Er wischte sich die klebrigen Hände an der Hose ab und stand auf. »Hallo, Vivana.«
»Liam.« Sie blieb stehen. »Was machst du denn hier?«
»Ich war zufällig in der Gegend und dachte, ich prüfe nach,
was du über die Manusch erzählt hast. Du weißt schon, die Sache mit der Schwarzen Magie.«
Sie lachte. »Und zu welchem Schluss bist du gekommen?«
»Ich habe gehofft, du könntest mir bei meinen Nachforschungen behilflich sein.«
»Warte hier«, sagte sie und führte das Pferd an den Manuschwagen vorbei zu einer alten Herberge, die nicht mehr benutzt wurde. Nachdem sie das Tier in die Stallungen gebracht hatte, wechselte sie ein paar Worte mit einem der Männer.
»Dein Onkel?«, fragte Liam, als sie zu ihm zurückkam.
Vivana nickte. »Ihm und Tante Livia gehört dieser Zirkus.«
»Deine Tante habe ich gerade kennengelernt.«
»Und? Hat sie dich mit ihrer Schwarzen Magie verhext?«
»Wäre sie dazu fähig?«
»Das hängt ganz davon ab, ob du nett zu ihr warst.«
»Ich habe mich bemüht«, sagte Liam. »Aber ich fürchte, sie glaubt, dein Vater hätte mich geschickt, um dir nachzuspionieren.«
»Hat er?«, fragte Vivana.
Er lachte. »Fang du nicht auch noch an. Er weiß nicht einmal, dass ich hier bin.«
Sie strich die Haarsträhne hinter das Ohr. »Du bist also nur wegen der Manusch hier?«
»Rein wissenschaftliche Neugier. Ich schwöre es.«
»Na gut, Liam Hugnall. Dann will ich dir glauben.« Sie ging zu einem Tischchen unter dem Sonnensegel, auf dem ein Tonkrug stand, und füllte zwei Becher mit einer klaren, grünlichen Flüssigkeit.
»Was ist das?«
» Korkas . Ein Tee nach einem alten Manuschrezept. Versuch es. Es ist besser als Kaffee.«
Liam nippte an dem Getränk. Es schmeckte bitter, aber sehr erfrischend.
»Was gestern passiert ist, tut mir leid«, sagte Vivana. »Wir hätten uns nicht vor dir streiten dürfen. Das war sehr unhöflich von uns.«
»Warum will dein Vater nicht, dass du die Manusch besuchst?«
Sie verzog den Mund. »Es ist … kompliziert.«
Liam spürte, dass sie nicht darüber reden wollte. Er betrachtete die bunten Reisewagen. »Einen Wanderzirkus habe ich mir anders vorgestellt.«
»Wie denn?«
»Mit einem Zelt. Und Schaubuden mit wilden Tieren.«
»Madalin und seine Brüder sind Gaukler. Sie jonglieren, machen Musik und
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