Pandaemonia 01 - Der letzte Traumwanderer
den alten Salon. Er folgte dem leisen Gelächter und gelangte zu einer Nische mit einer abgewetzten Ledercouch, auf der sich ein junger Mann lümmelte. Fay und Whisper, die bleichen Víla-Schwestern, schmiegten sich an ihn, küssten seine Halsbeuge und strichen mit ihren krallenartigen Fingern über seine Arme und die entblößte Brust. Der Jüngling hatte die Augen geschlossen und lächelte glückselig. Vermutlich ein vergnügungssüchtiger Adliger oder Patriziersohn, den die Schwestern irgendwo im Labyrinth aufgegabelt und mit verruchten Versprechungen hierhergelockt hatten. Noch wähnte er sich im Himmel und schob die zunehmende Benommenheit auf den Absinth, den er trank. Wenn er endlich begriff, dass die Schwestern ihm mit jeder Berührung einen Teil seiner Lebenskraft stahlen, würde es längst zu spät sein.
Fay bemerkte Lucien und musterte ihn kalt.
»Wo ist Aziel?«, fragte er.
Wortlos wies die Víla auf den zerschlissenen Vorhang, bevor sie sich wieder ihrem Opfer widmete.
»Wenn ich dir einen Rat geben darf«, wandte sich Lucien an den Jüngling, »geh nach Hause, solange du noch kannst.«
Der blickte ihn aus verschleierten Augen an und lächelte matt. »Nach Hause? Wo denkst du hin, mein Freund! Das hier ist das Paradies.« Er hob sein Absinthglas, das im Kerzenlicht grün schimmerte. »Setz dich zu uns. Trink. Lass uns feiern.«
Lucien seufzte und wandte sich ab.
Er teilte den Vorhang und folgte einem Gang mit schimmeligen Wandtäfelungen, bis er eine Steintreppe erreichte. Unten, in dem Kellergewölbe, zwischen morschen Kisten und Fässern, standen Aziel und Seth und redeten leise miteinander. Der Halbdämon deutete eine Verneigung an, bevor er sich zur Kellerwand umdrehte. Das Mauerwerk wurde durchsichtig, und es erschien eine wabernde, ovale Fläche. Obwohl es schlagartig heiß wurde, schauderte Lucien, als er einen Blick auf die bizarre Landschaft hinter der Öffnung erhaschte: Dunst verhüllte gewaltige Treppen und Pfeiler, Rauch stieg aus Schächten und Abgründen auf. Schwarze Flüsse schlängelten sich zwischen scharfkantigen Felszacken entlang.
Seth trat durch die Öffnung, woraufhin sich das Tor schloss. Zurück blieb ein leichter Schwefelgestank.
Lucien stieg die Treppe hinab. »Was, um alles in der Welt, treibt ihr hier?«
»Seth stellt Nachforschungen für mich an«, erklärte Aziel.
»Im Pandæmonium?«
Der einstige Herrscher der Alben antwortete nicht. Der Saum seiner Robe strich über den Boden, als er Lucien entgegenschritt. »Wo warst du so lange?«, fragte er barsch.
»Zum letzten Mal: Ich bin nicht dein Leibeigener. Ich komme und gehe, wann es mir passt.«
Ein metallischer Glanz erschien in Aziels Augen. »Hast du etwas herausgefunden?«
Lucien nickte.
»Gut. Gehen wir nach oben.«
»Wir reden hier. Ich will deine Dienerinnen nicht bei ihrem Vergnügen stören.«
»Sie sind Vílen«, entgegnete Aziel. »Sie gehorchen nur ihrer Natur.«
Lucien war nicht gekommen, um sich Vorträge über Geisterfrauen anzuhören. »Ich weiß, wie der Harlekin an Jernigans Lampe gekommen ist«, begann er ohne Umschweife. »Du hattest recht: Jemand hat ihm geholfen.«
»Wer?«, fragte Aziel schneidend.
»Corvas.«
»Und daran besteht kein Zweifel?«
Lucien war gewiss der Letzte, der etwas auf Silas Tornes Wort gab. Dennoch glaubte er nicht, dass der Alchymist gelogen hatte, was die Lampe betraf. »Ich fürchte nein.«
»Corvas«, murmelte Aziel angewidert, als hätte der Name einen üblen Geschmack. »Also steckt die Lady hinter alldem.«
»Das ist nicht gesagt. Corvas hat möglicherweise eigene Pläne.«
»Die alte Krähe? Nein. Corvas würde nie eigenmächtig handeln. Lady Sarka hat ihm befohlen, die Lampe zu beschaffen, genau wie er in ihrem Auftrag den Kerker des Harlekins aufgebrochen hat.«
Lucien dachte an die toten Alben in den Katakomben, an die Schusswunden in ihren verwesenden Leibern. Der Anordnung der Leichen nach zu schließen war es ein kurzer Kampf gewesen, falls es überhaupt einen gegeben hatte. Sie waren mit genau jener grausamen Effizienz angegriffen worden, für die man Corvas in ganz Bradost fürchtete. »Du glaubst, die Lady hat den Harlekin benutzt?«
»Ja.«
»Warum sollte ihr daran gelegen sein, dich zu entmachten?«
»Es wird Zeit, das herauszufinden«, knurrte Aziel und ergriff Luciens Hand.
Die Kellerwände verblassten, und für einen Wimpernschlag hatte Lucien das Gefühl, zu fallen. Im nächsten Moment waren die feuchten Mauern und die
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